Sarah Rodo aus Dortmund

„Ich kann für Menschen keine Gefühle entwickeln. Ich liebe ein Flugzeug.“

Hallo Sarah, stell dich einfach mal kurz vor.

Ich bin Sarah, 23 Jahre alt und ich arbeite am Flughafen als Fluglotsin. Ich bin generell sehr gerne am Flughafen, da ich ein Flugzeug liebe.

Du liebst ein Flugzeug? Das musst du näher erklären …

Das nennt sich Objektophilie. Ich liebe ein Objekt. Und das ist eben ein Flugzeug. Genauer die Boeing 737.

Wie ist das passiert?

Das war in meiner Jugend schon so mit 14. Da habe ich gemerkt, dass ich den Kontakt zu Menschen nicht mag. Also Körperkontakt – ob´s küssen, umarmen oder streicheln ist. Da habe ich bemerkt, das mag ich nicht. Ich habe aber auch nie eine wirklich schlechte Erfahrung gemacht, sondern ich mochte es einfach nur nicht.

Dann habe ich angefangen mich für Eisenbahn zu interessieren und habe dann den ICE 3 gesehen. Das war mein erstes Objekt vor dem Flugzeug. Und da hatte ich plötzlich Herzkribbeln und das Gefühl von Verliebtsein.

Du hattest also vor dem Flugzeug eine Beziehung mit einem ICE 3?

Ja. Ich war vorher bei der Bahn beschäftigt und habe Lokführerin gelernt. Das war damals mein Traumberuf. Ich bin Güterzüge gefahren, wollte aber gerne in den Fernverkehr, aber das hat leider nicht geklappt. Trotzdem hatte ich eine Bahncard 100 und konnte so dem ICE oft sehr nah sein. Das Gefühl ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Das habe ich dann mal gegoogelt und kam auf den Begriff „Objektophilie“ und habe dann gemerkt, dass viele Punkte auf mich zutreffen. Das ist meine Sexualität. Ich habe es aber zunächst nicht wahrhaben wollen. Weil gerade als Jugendliche denkt man ja, man entwickelt sich vielleicht noch. Vielleicht ist es ja nur eine Phase oder so.

Und dann hast du dich aber in ein Flugzeug verliebt?

Ich hatte irgendwann für die Eisenbahn generell kein Interesse mehr. Das hat im letzten Jahr immer weiter abgenommen. Ich habe einfach keine Gefühle mehr gehabt. Dann war ich am Flughafen und dann fing es mit den Flugzeugen an.

Und es geht dir um genau dieses Modell? Die Boeing 737?

Ja, es ein bestimmtes Modell. Bei dem Flugzeug ist es eben die Boeing 737 und bei der Eisenbahn eben der ICE 3. Es ist jetzt nicht jedes Flugzeug oder jeder Zug, sondern wirklich eine bestimmte Baureihe.

Aber du kannst ja nicht ständig mit dem Flugzeug zusammen sein … fehlt es dir dann oft?

Richtig, genau. Man kann sagen, dass es wie eine Fernbeziehung ist. Man sieht ihn zwar, aber man ist nicht wirklich dran. Also wirklich drin ist man ja nur, wenn man ihn wirklich fliegt. Dementsprechend habe ich mir ein originalgetreues, großes Modell geholt. Das ist so groß wie ich. Ist jetzt auch kein Ersatz, aber trotzdem die gleiche Baureihe.

Welche Baureihe ist das denn genau?

Es bezieht sich vor allem auf die 737-800 und die Baureihe 737 Max. 300 finde ich auch schön, aber es geht eigentlich ab der 800er-Reihe los.

Was macht denn den Unterschied aus?

Die Größe. Die Triebwerke sehen anders aus, die Tragflächen sehen anders aus. Da gibt es ganz viele Unterschiede.

Du arbeitest am Flughafen?

Genau. Ich bin dort Ramp-Agent. Ich bin das Sprachrohr zwischen den Check-in-Schaltern und den Piloten.

War das eine umfangreiche Ausbildung?

Ne, das war eine kurze Einführung von einer Woche. Relativ schnell, aber man sollte schon ein generelles Interesse mitbringen und die Flugzeugsprache beherrschen, sonst wird´s schwierig. Aber man hat auch jemanden, der einem beiseite steht, wenn man eine Frage hat.

Du sprichst englisch mit dem Piloten?

Müssen wir teils, teils auch nicht. Manche sprechen auch so komisch englisch, dass man das gar nicht versteht. Da tue ich mich ein wenig schwer. Aber mit Händen und Füßen klappt das. Zur Not tut’s auch ein Google-Übersetzer. Da gibt es auch so ein paar Tricks, mit denen man arbeiten kann. Wenn irgendwo ein Fehler passiert, dann ist das ganz schlecht. Eine falsche Kommunikation kann dann auch schon mal zu einem Unfall führen und das darf nicht passieren.

Gibt es das Thema Eifersucht eigentlich in deiner Beziehung?

Ne, das hab ich jetzt tatsächlich so gar nicht. Ich habe ja mein Modell zu Hause bei mir, mit dem ich alles ausleben kann. Die 737 ist halt ein Flugzeug, das viel von A nach B fliegt. Ist halt ein Passagierflugzeug – das kann ich mir nicht aussuchen, was er tun darf oder was nicht. Ich bin froh, dass ich mein Modell habe und das ist mir sehr wichtig.

Wenn du sagst, du kannst alles damit ausleben, dann meinst du auch alles, was man in einer Beziehung so macht?

Ja, wie quasi in einer normalen Beziehung. Natürlich funktioniert die Kommunikation nur einseitig. Das ist der große Unterschied zu einer menschlichen Beziehung.

Als du dich in das Flugzeug verliebt hast, was war das für ein Tag? Bist du da das erste Mal geflogen oder hast du es nur gesehen?

Ich war in Frankfurt auf der Besucherterrasse und dann fuhr da die 737 lang. Da war das wie damals beim ICE 3. Ich habe den Flieger gesehen und er ist mir überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich habe dann sofort nach Flügen und Modellen geguckt und wollte sofort auch mehr von diesem Flugzeug wissen. Ja, das war schon Liebe auf den ersten Blick.

Und hast du früher mal eine Beziehung mit einem Menschen gehabt?

Ja, tatsächlich hatte ich zwei Beziehungen mit Männern. Und da habe ich immer wieder gemerkt, dass es nicht passt. Die wollten natürlich Körpernähe und Intimität. Ich habe das dann immer abgeblockt, ich wollte das nicht. Da habe ich immer mehr gemerkt, dass das nicht meine Art von Beziehung ist mit menschlichen Partnern.

Was stößt dich bei menschlichen Partnern ab?

Es ist nicht anziehend. Ich kann für Menschen keine Gefühle entwickeln und Körperkontakt mag ich überhaupt nicht. Warum es so ist? Keine Ahnung. Es ist einfach so. Ich mag es nicht.

Ich habe gelesen, am liebsten würdest du das Flugzeug auch heiraten?

Vorgestellt habe ich es mir schon. Ist ja schon eine coole Sache. Ich habe damals gelesen, dass eine Frau den Eiffelturm geheiratet hat. Ging auch groß durch die Nachrichten. Aber das ist in Deutschland alles nicht möglich.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Es wäre natürlich cool, öfter an einer echten 737 dran zu sein. Und natürlich möchte ich mit der 737 auch für immer zusammen sein. Einen Kinderwunsch habe ich nicht. Ich möchte einfach viel fliegen. Ich liebe das Reisen ja sowieso. Vorher bin ich hauptsächlich per Bahn gereist, jetzt fliege ich. Das Reisen bestimmt mein Leben.

Wo bist du schon hingeflogen mit der 737?

Sehr oft nach Spanien – Mallorca und Barcelona. Und nach Polen, Kattowitz, weil die Flüge ab Dortmund nur 7 Euro kosten.

Und du erkundest dich dann vorher, ob sie den Flugzeugtyp auf dem Flug einsetzen?

Ich fliege hauptsächlich mit Ryanair. Die fliegen nur die Boeing 737 und Max. Das ist dann praktisch.

Hast du dich mal mit anderen Objektophilen in Verbindung gesetzt?

Mich haben aufgrund der vielen Berichterstattung, und da ich öfter auf Instagram verlinkt worden bin, schon ein paar Leute angeschrieben, die dasselbe Gefühl haben bei Objekten. Das sind nicht nur Flugzeuge, das kann ja auch alles andere sein. Die haben mich gefragt: „Wie kann ich mich am besten outen vor Familie und vor Freunden?“ Man hat ja schon ein bisschen Angst vor der Reaktion. Es haben auch schon welche gesagt, dass sie eine schlechte Erfahrung gemacht hätten, als das rausgekommen ist. Und die haben jetzt natürlich Angst, sich nochmals vor Freunden zu öffnen, weil die sich eventuell abwenden könnten. Was ich überhaupt nicht verstehe! Das macht ja keinen schlechteren Menschen aus einem. Das ist völliger Blödsinn! Das sind dann keinen wahren Freunde.

Was gab es bei dir für Reaktionen nach deinem Outing?

Ich habe sehr sehr viele positive Rückmeldungen gekriegt. Hätte ich nicht erwartet. Ich habe echt gedacht, die Leute reagieren mit: „Was ist das?“, „Voll komisch!“ Aber tatsächlich gar nicht. Ob meine Familie die Doku über mich gesehen hat, weiß ich nicht. Ich habe keinen Kontakt. Den meisten Kontakt habe noch ich zu meiner Oma, aber die ist in den Medien gar nicht so unterwegs. Ich habe mit ihr auch nicht groß darüber gesprochen. Einen Teil meiner Familie kenne ich gar nicht. Also seit 23 Jahren habe ich keinen Kontakt mehr zu denen.

Wie bist du so aufgewachsen?

In einer Wohngruppe. Meine Mutter war damals 19, als sie mich bekommen hat. Es war eine ungewollte Schwangerschaft und sie war überfordert. Wie das so ist – manche kommen nicht klar mit einem Kind und dann bin ich in eine Wohngruppe gekommen. Das war aber eine super Wohngruppe, also die letzte, in der ich war. Dort war ich schlussendlich meine ganze Jugend über. Das war wunderschön.

Viele Wohngruppen sind leider nicht so toll. Ich hatte auch ein, zwei, die waren nicht so gut. Aber in der letzten habe ich dann fast zehn Jahre gewohnt. Es war wie in einer Familie. Wir haben Urlaub gemacht, Freizeitaktivitäten, wir hatten Tiere – Hunde, Pferde und Kaninchen – einen riesengroßen Garten, jeder hatte ein eigenes Zimmer – also wunderbar.

Und du hast dann gar keinen Kontakt zu deiner Mutter gehabt?

Ja, schwierig. Als Kind wollte ich natürlich den Kontakt zu meiner Mutter haben. Ihr damaliger Ex wollte aber nicht, dass wir Kontakt haben. Und entsprechend gab es auch keinen Kontakt. Irgendwann mit dem Alter habe ich das dann auch hingenommen und habe mein Leben und meine Hobbys gelebt und bin damit gut klar gekommen. Ich habe meinen Weg auch ohne sie gefunden. Ich war deswegen auch kurz in der Therapie. In der Wohngruppe gab es eine Therapeutin, die einmal pro Woche vorbei gekommen ist. Aber nach ein, zwei Sitzungen habe ich gesagt: „Brauch ich nicht!“. Ich komme auch so gut klar.

Gibt es noch irgendwas in deinem Leben, was du dir wünschst? Eine Bucket-List?

Ich möchte noch ganz viel um die Welt reisen. Ganz viele Ziele wie Nordamerika, Japan, China besuchen und neue Kulturen kennenlernen. Und was natürlich ein großer Traum von mir ist – eine echte 737 im Garten stehen zu haben – das wäre auch mal was!

Was gefällt dir am Ruhrgebiet? Was gefällt dir nicht am Ruhrgebiet?

Es ist schon sehr praktisch mit vielen Großstädten nebeneinander. Man hat viele Möglichkeiten, hier was zu machen. Aber was hier negativ ist, ist dass die Menschen hier immer aggressiver werden. Allgemein ist die ganze Stimmung aggressiv. Das ist etwas, was mir überhaupt nicht gefällt. Ich plane tatsächlich auch hier wegzuziehen – nach Hamburg.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Käpt’n Balu von „Käpt’n Balu und seine tollkühne Crew“. Denn am liebsten wäre ich auch Pilotin, aber die Ausbildung ist so teuer.

Das Interview führten wir im Juni 2022.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.