Guido Hofmann Flick, 59, aus Bottrop

„Es wurde an der Seele des Ruhrgebiets gesägt.“

Hallo Guido, stell dich bitte kurz vor.

Guido Hofmann Flick, Bildhauer, Künstler, Materialplastiker, 59 Jahre alt, glaube ich. Ich habe mein Atelier hier in Bottrop-Kirchhellen. Als Brot-und-Butter-Skulpturen habe ich hauptsächlich große Steinskulpturen erstellt, verarbeite aber alles – deswegen Materialplastiker. Ich mache das seit 35 Jahren als freier Bildhauer und man lebt halt so vor sich hin.

Hast du Familie?

Ich bin verheiratet und habe fünf Kinder. Zwillinge, dann noch zwei Mädels und einen Jungen. Sie sind alle recht gerade geraten – da bin ich echt froh drum. Ist wirklich schön mit denen. Ich bin auch vor Kurzem Opa geworden.

Was hast du vor deiner Arbeit als Materialplastiker gemacht?

Ich bin gelernter Steinmetz und Steinbildhauer. Hauptsächlich habe ich früher auf dem Bau gearbeitet. Und auch parallel zu meiner Künstlertätigkeit immer wieder mal gehobene Sachen am Bau gemacht. Natursteinarbeiten und Keramik und so was. Oft für einen befreundeten Steinmetzmeister. Danach habe ich mich 1997 als Künstler selbstständig gemacht, da ich viele Anfragen wegen Skulpturen hatte. Und seitdem bin ich auch freier Bildhauer.

2002 habe ich Ibarrola kennengelernt. Er hat mich unter seine Fittiche genommen und hat auch ein wenig an meiner Kunst, an Sichtweisen und Ideen geändert.

Wer ist Ibarrola?

Agustín Ibarrola ist ein baskischer Bildhauer, bekannt hier im Ruhrgebiet durch die Halde Haniel. Die Totems, die da stehen, habe ich zusammen mit ihm da oben aufgebaut und ich betreue sie auch.

Ibarrola wurde sein Leben lang verfolgt. Zuerst von Franco, dann irgendwann konnte er nach Frankreich, Paris, fliehen. Später kehrte er zurück, als Spanien demokratisch war, und da war die ETA dann hinter ihm her. Zwei Bodyguards begleiteten ihn anschließend eine Ewigkeit. Er hat mindestens 50 Freunde durch die ETA verloren. Also direkte Freunde, die erschossen oder in die Luft gejagt wurden. Jede Familie, die ein Opfer in Spanien zu beklagen hatte, hat ein Kunstwerk von ihm geschenkt bekommen. Das waren über 1.200 Leute, also schon einige Familien. Ibarrola wird dieses Jahr 93. Ich habe ihn letztens noch getroffen. War schön, war wirklich sehr schön.

Wie hast du ihn kennengelernt?

Kennengelernt habe ich ihn 2002. Ich bekam einen Anruf. Ich hatte irgendwas für den RVR skulptural gemacht und wurde gefragt, ob ich nicht mal Zeit hätte, mir etwas anzugucken auf der Halde Haniel. Ich sagte: „Klar!“ Wie es der Zufall so will – ich bin in Nordspanien groß geworden, in Asturien und Ibarrola und seine Truppe kommen aus dem Baskenland. Ich spreche ungefähr so gut Spanisch, wie ich Deutsch spreche. Also kam ich auf die Halde und habe die Leute da sprechen gehört – danach war die Dolmetscherin arbeitslos. Wir haben dann gemeinsam in drei Wochen die Totems positioniert, neu bemalt und eine Studententruppe zusammengesucht, die dann bei der Bemalung und Neugestaltung mitgeholfen hat. Das war im Rahmen der Ruhrtriennale. Gerard Mortier hatte nämlich eine Arbeit von ihm am Bahnhof in Madrid gesehen und hat ihn dann in Spanien kennengelernt. Er hat in seinem Garten die Totems gesehen und gesagt: „Ich weiß genau, wo die hin müssen.“ Mit der Installation auf Halde Haniel wurde die Ruhrtriennale dann auch anschließend eröffnet.

Das war dann sicher schlimm, als die Totems letztens zerstört worden sind.

Ja, Idioten gibt es überall. Und davon einfach zu viele. Die Totems wurden massiv zerstört, aber ich habe sie wieder abgeschliffen und aufgebaut. Vorgestern rief mich noch jemand von der Halde Haniel an und fragte mich, welche Totems davon betroffen seien. Man sieht also nicht mehr, welche fünf da abgesägt worden sind. Außer man weiß es vorher und geht dann gezielt auf zehn Zentimeter ran. Dann sieht man es vielleicht.

Kannst du kurz schildern, was passiert ist? Wann das war?

Ende März 2022 wurden fünf Totems von irgendwelchen Leuten abgesägt. Es wurde aber direkt beschlossen, dass das sofort wieder aufgebaut wird. Ich war natürlich schockiert, aber verglichen mit anderen Sachen ist es trotzdem nur Vandalismus. Da gibt es viel schlimmere Dinge. Das sind Sachen, die kann man reparieren und deswegen muss man das im Rahmen halten. Da wurde an der Seele des Ruhrgebiets gesägt. Wirklich, weil das Ding gehört einfach dazu. Es ist einfach eine ganz besondere Stimmung da oben. Und die spiegelt auch so ein bisschen die Art der Kunst von Agustín Ibarrola wieder. Oder überhaupt was Kunst machen sollte: Jemanden berühren.

Meine Objekte machen das auch, sagen mir die Leute. Mich berühren sie natürlich nicht, weil wenn du da wochenlang dran arbeitest an so einem Block, geht er dir auch irgendwann auf den Keks. Dann sagst du dir auch, der muss mal irgendwann fertig werden. Das ist eben der Nachteil zur Malerei. Es ist mit viel Staub und harter körperlicher Arbeit verbunden. Da ist eigentlich das Schönste das Ergebnis, weil der Weg dahin ist manchmal hart und steinig.

Mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?

Alles, was mir interessant erscheint – also deswegen Materialplastiker, weil ich auch Skulpturen aus Plastik baue, aus Gummi. Also immer experimentell, wenn ich ein Material finde, was mir besonders erscheint. Oder ich habe beispielsweise Projekte mit Schülern, wo wir dann aus Plastik Sachen bauen. Brot und Butter war dann hauptsächlich Naturstein. Dann eben regionales Material. Ibbenbürener Sandstein sehr gerne und sehr viel. Dazu muss man nicht um die halbe Welt reisen. Auch wenn es dann dreimal so viel kostet, als wenn ich es mir in China bestelle. Das ist für mich so das schönste Material.

Du gibst auch Workshops?

Ab und zu, aber immer weniger, weil es immer sehr anstrengend ist. Und teilweise fehlt auch die Zeit dafür.

Was für ein Projekt ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Meine Großskulpturen, die ich gestaltet habe. Zum Beispiel den goldenen Schnitt in Bottrop. Dann die Erdmäuler im Stadtgarten. Diese exponierteren Sachen. Ich habe das Problem, dass ich oft vergesse, was ich alles gemacht habe. Es gibt keine durchgehende Dokumentation meiner Sachen. Manchmal treffe ich Kunden wieder und ich weiß gar nicht, was ich für die gemacht habe. Dann schicken sie mir ein Foto und die Erinnerung wird wieder wach.

Ich bin nicht so der Typ, der in der Kunstgeschichte mitgestunken hat. Wenn man in der Kunst weiterkommen will, muss man auch netzwerken, also viele Galeristen kennen und so. Da habe ich mich nie drum gekümmert. Das heißt, es gibt von mir kaum Werbung. Es ist alles eher Mundpropaganda und trotzdem bin ich damit über die Runden gekommen. Ich bin nicht den klassischen Weg gegangen: Studium, Galeristen und zack, zack, zack … sondern habe mir die Sachen immer selbst beigebracht. Ich wollte modellieren können wie Rodin. Das habe ich dann eine Zeitlang gemacht. Als ich wusste, ich kanns, habe ich damit aufgehört. Danach wollte ich dann ein bisschen in die Bildsprache von Max Ernst, Surrealismus, eintauchen. Das waren alles so Phasen, die ich mal durchgemacht habe und dann war das aber auch für mich erledigt. Jetzt habe ich meinen eigenen Stil mit meinen Steinen umzugehen. Das sieht man an meinem Atelier an der Bottroper Straße.

Wenn es keine Grenzen geben würde, was würdest du dann gerne realisieren?

Da gibt es einiges. Ich werde immer halbwahnsinnig, wenn ich an der Küste bin und bestimmte Felsformationen sehe. Da bin ich dann schon direkt am überlegen, wie man die mit wenigen Mitteln bearbeiten könnte. Nur durch etwas Anschleifen und ein bisschen Bearbeiten dem ganzen Ding so etwas wie ein Gesicht geben. Oder einfach nur bestimmte Sachen, wie zum Beispiel einen Riss, betonen. So ein richtiges Naturbauwerk würde ich gerne machen und dann mit dem, was da ist, arbeiten.

Aber momentan würde ich gerne mein Projekt Wellenbrecher auf die Schöttelheide bringen. Das ist ein Kunstwerk, das man auch auf meiner Webseite findet. Dort wird auch eine kurze Geschichte dazu erzählt. Das wäre mal eine Haldeninstallation von einem Jungen von hier für hier. Die Schöttelheide wäre dann unterhalb der Halde meines Lehrmeisters gelegen. Unten der Schüler, oben der Lehrer. Über Wellenbrecher haben wir bereits im Rahmen von Corona viel gesprochen. Aber auch Wellenbrecher für den Strukturwandel, für alles Mögliche. Es ist zurzeit thematisch sehr passend. Es muss ein Umdenken stattfinden. Und der Wellenbrecher wäre nicht nur skulptural, sondern auch intellektuell eine Skulptur, die da schön reinpassen würde. Die einfach Fragen stellt an den, der sich die Skulptur anschaut. Das ist für mich sehr wichtig, dass man nicht etwas vorkaut, sondern der Betrachter macht die Augen auf und erklärt sich das selbst. Ob das jetzt ein Steinblock, ein Totem oder eine Installation ist.

Bei mir am Atelier ist anhängig ein kleiner privater Wald. Mein Vermieter stellt mir den für Skulpturenausstellungen zur Verfügung. Wir arbeiten zusammen. Er hat eine Stiftung – die Johannes Fockenberg-Stiftung. Es gibt einen kleinen Rundweg, auf dem etwa 50 bis 60 verschiedene Bäume und Sträucher anzusehen sind und auf kleinen Schildern erklärt werden. Viele Schulklassen schauen sich das an. Gleichzeitig kann man da entspannen und Kunst angucken. Es gibt schon schöne Synergien direkt im Ruhrgebiet.

Meine Skulptur „die große rote Schleife“ liegt auch da – die ist aus Förderband von der Zeche Prosper-Haniel erstellt. Das war sehr zeitaufwändig. Das Förderband besteht eher aus Stahl als aus Gummi: immer ein Zentimeter Gummi, dann ein Zentimeter Stahlseil usw. Das zu Sägen ist wirklich eine Sauerei, da sieht man aus wie ein Schwein hinterher. Der Meter wiegt über 200 Kilo und die Schleifenskulptur insgesamt 600 Kilo. Ich habe drei Tage gesägt, um dieses 40 Zentimeter breite Band daraus zu schneiden und ich weiß nicht wie viele ein-Millimeter-dicke Flexblätter daran verjubelt. Alles mit Staubmaske in der Sonne. Und trotzdem stinkt das Gummi wie die Pest. Ich denke meine Lunge hat ein bisschen was abgekriegt, aber es hat total Spaß gemacht. Und es war dann auch wirklich ein Highlight.

Hast du noch andere Hobbys?

Ja. Etwas nicht so Umweltfreundliches: Ich fahre gerne schnell Auto. Gerne sehr schnell! Selbst habe ich nur eine Familienkutsche, aber ab und zu fahre ich mit einem Freund mit einem Lotus. Und ich liebe es, Autorennen zu gucken. Das kommt aber daher, dass mein Vater und der Vater von einem Freund von mir früher selbst Autorennen gefahren sind. Und ich eben mit Autorennen auch groß geworden bin. Mein Vater wäre heutzutage richtig berühmt. Früher gab es nicht so die Medienpräsenz, aber mein Vater war sehr bekannt am Nürburgring, weil er sehr schnell war und sehr viel gewonnen hat.

Und ist mal etwas passiert?

Mein Vater hat schon mal ein Auto zerlegt. Nicht aus eigener Schuld, ihm ist jemand hinten in die Ecke gefahren. Das passierte schon ab und an mal. Aber es gab ja damals auch schon Rollkäfige. Heutzutage werden die Wagen immer weggerollt, sobald sie einen Unfall haben. Früher blieben sie einfach liegen. Dann wurde da eine gelbe Fahne geschwenkt und dann blieb der Karren da liegen.

Mein Vater ist die letzte Runde des Rennens gefahren und wir haben hinter einer Kurve gewartet. Er kam und kam nicht. Er hatte gut sieben Minuten Vorsprung vor dem Zweiten, als auf einmal der Zweite um die Ecke fuhr – Horst Bohnefeld. Er fuhr direkt hinten rum in die Boxengasse. „Hömma! Wat ist denn mit dem Klaus los? Der liegt im Wehrseifen auf dem Dach und qualmt noch!“ Das Auto meines Vaters war kernschrott – einfach nur noch ein Haufen Blech. Wir sind schnell hingefahren und ich bin aus dem fahrenden Auto gesprungen, um zu ihm zu laufen. Beim Rausspringen aus dem Auto habe ich mir allerdings wohl mehr weh getan als mein Vater … denn der stand oben bei den Zuschauern, Bierchen und Kippe in der Hand. Und ich mit blutigen Knien und Ellbogen. Das Auto war total zerstört. Und das einzige, was mein Vater hatte: Er hat sich das Genick so ein bisschen verzerrt beim Losmachen vom Sicherheitsgurt, da der Wagen ja auf dem Dach lag.

Zum Glück ist da nichts Schlimmeres passiert! Hast du noch weitere Hobbies?

Ich klettere gerne und früher bin ich viel mit dem Fahrrad gefahren, was heute so Downhill ist. Nur mit meiner Lunge geht das nicht mehr so, deshalb spare ich jetzt auf ein stabiles E Bike-Fully. Dann kannst du nämlich den Berg auch rauffahren und wieder runterheizen. Mir geht es ums Runterheizen, aber ich muss ja auch irgendwie raufkommen. Da bin ich dann auch echt brutal. Also da kann es auch schon mal passieren, dass wir beide leiden: das Fahrrad und ich.

Und was ist mit deiner Lunge passiert?

Steinstaub und Raucherei. Und die ganzen Sünden, die man früher so durchlebt hat. Man hat dann von seinem Meister den Auftrag gekriegt, eine Platte durch zusägen. Und das war dann einfach mal eine Eternitplatte, ohne Staubmaske, ohne alles. Da hast du dann Asbest gefressen bis zum geht nicht mehr. Und das Material macht die nächsten 30 Jahre erst mal nichts. Das fängt erst nach 35 Jahren an. Und dann noch dabei das Rauchen … mit all dem Steinstaub. Natürlich habe ich heute beim Skulpturen bearbeiten eine Maske auf. Beim Sägen auf jeden Fall. Nur auch da kriegst du immer wieder was ab. Dann habe ich viel Stahlarbeiten gemacht, Schweißarbeiten, eben auch drinnen ohne Absaugung. Also da kommt dann eins zum anderen. Ich bin selbst Schuld. Da brauche ich auch nicht zu jammern. Es ist jetzt so wie es ist.

Was magst du am Ruhrgebiet? Oder was magst du auch nicht?

Was ich nicht mag, ist teilweise diese Unsolidarität unter den Städten. Diese riesige Verwaltungsblase! Was ich mag, sind natürlich die Leute und die absolute kulturelle Vielfalt. Ich glaube, was man hier erleben kann, kann man nirgendwo sonst auf der Welt so erleben, wenn man sich ein bisschen kümmert. Von Kunst, Kultur, Theater über Performance, Musik, alles. Dann eben die Offenheit. Wenn man in eine andere Gegend fährt, kommt es einem so vor, als ob der Andere denkt man möchte sein Portemonnaie klauen, wenn man nach der Uhrzeit fragt.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Ich hätte früher bei „Wetten dass …“ mitmachen können. Du hättest mir aus irgendeinem Comic von Asterix und Obelix zwei Kommentare vorlesen können und ich hätte dir sagen können welches Heft, welche Seite, welche Szene. Ich habe früher nächtelang immer dieselben Asterix-Comics gelesen. Ich kannte wirklich jede Stelle.

Also Obelix! Ich habe schon ein Obelix-T-Shirt getragen, als ich mit vier Jahren auf dem Nürburgring rumgelaufen bin. Dieses T-Shirt habe ich noch bis heute. Das wird auch mein Enkel anbekommen, aber nur zu besonderen Zeiten. Vielleicht war das mit dem Hinkelstein auch ein Omen, dass ich zum Steinmetz geworden bin. Obelix passt!

Das Interview führten wir im April 2023.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.