Jan Kollenbach, 25, aus Essen

„Gib mir alles an Frauenklischees, die man äußerlich haben kann, damit ich sie auf der Bühne breche, indem ich ins Mikro rülpse!“

Hallo Jan. Stell dich doch bitte kurz vor.

Ich bin Jan und 25 Jahre alt. Ich habe Tanz an der Folkwang Universität in Essen-Werden studiert und arbeite als Tanzperformer, Bühnenpersönlichkeit, aber auch hinter der Bühne als Produktions- und Projektleiter. Ich mache eigentlich alles, was in und um und hinter einer Bühne passiert. Im Moment arbeite ich für einen Düsseldorfer Choreografen – Ben J. Riepe – bei dem ich vor ein paar Jahren auch meine Bachelorarbeit „getanzt“ habe. Das ist eine Projektleiterstelle für den FREIRAUM, kollaborativer Konzeptions- und Arbeitsort für Künste und Wissenschaften, wo es darum geht, jungen und aufstrebenden, aber auch etablierteren Künstler:innen Proben- und Rechercheräume zu bieten. Wir fokussieren uns aufs Coworking, auf den Austausch und noch auf die Zeit vor der Antragstellung.

Wolltest du das immer schon machen?

Ich hatte nie etwas, was ich immer machen wollte. Ich wusste nur, ich wollte in der Kunst und in der Bühnenkunst bleiben. Ein festes Theaterhaus fand ich nie so reizvoll. Ich war immer eher auf der Suche nach kleineren Kollektiven oder Institutionen in der freien Szene.

Du studierst noch?

Ja. Im April habe ich angefangen, szenische Forschung in Bochum als Masterstudiengang zu studieren. Das mache ich, weil ich gemerkt habe, dass mir nur alleine das Tanzen nicht reicht. Ich liebe den ästhetischen Tanz, aber nur allein das füllt mich nicht aus. Ich möchte ein bisschen mehr in die Materie eintauchen. Und mich vor allem ausprobieren, um zu gucken, in welche Richtung es bei mir geht – sei es als Dragqueen oder auch als Tänzer.

Wie kam es dazu, dass du als Dragqueen performst?

Ich war mit meinen Eltern vier Jahre lang in China – von 2011 bis 2015. Da war ich zwischen 13 und 18 Jahre alt. Mein Vater wurde berufsbedingt nach China geschickt. Ich war ein großer Fan von RuPauls. In China musste man sowieso fast alles illegal gucken, was aus dem Westen kam. Grob gesagt: Ob ich mir da die Tagesschau illegal runtergeladen habe oder RuPauls Drag Race war ziemlich egal. Ich hatte zwei Freundinnen in dem deutschen Dorf, in dem wir gewohnt haben, die haben mich einmal geschminkt. Das fand ich ganz cool. Es war eine sehr schöne Zeit. Nach China bin ich nach Berlin gezogen und habe da eine Tanzausbildung gemacht. Die Szene da hat mich begeistert und ich habe mich ein bisschen ausprobiert.

Ich hatte in Berlin in kleinen Bars erste Miniauftritte als Dragqueen. Dabei hat eine gute Freundin von mir sehr geholfen, mich zu organisieren und sich mit mir auszudenken, wie meine Auftritte aussehen könnten. Sie heißt Janne Bless und so entstand dann auch mein Dragname.

Das musst du erklären: Miss Foxy Bless – wie genau entstand der Name?

In der Drag-Kultur ist es üblich, dass man den Nachnamen seiner Drag-Mother übernimmt, die einen in die Szene einführt. Also nannte ich mich Miss Foxy Bless. Foxy, weil ich anfangs keine Perücken getragen habe, da ich kein Geld dafür hatte. Gute Perücken sind wirklich teuer. Und ich habe rote Haare – also Foxy. Und das „Miss“, weil ich geschminkt einfach so viel reifer und erwachsener aussehe.

Berlin und das Nachtleben haben mich aber beinahe verschlungen.

Inwiefern? Alkohol?

Alkohol war nie was für mich. Das hat mir zu lange gedauert. Und dafür bin ich zu sehr Kontrollfreak. Ich möchte alles kontrollieren. Das war in meiner Ausbildung auch ein Riesending. „Jan, werd doch mal locker! Lass doch mal los!“ Aber mit Drogen ging das. Die knallen rein und da bist du innerhalb von fünf Minuten übern Berg und weggeschossen. Ich bin da sehr empfänglich für und habe die Wochenenden in Berlin im Berghain, im Sisyphos, im Tresor und im Lab, dem schwulen Fetisch-Club, neben dem Berghain verbracht. Wenn man da die richtigen Leute kennt, ist man schnell drin. Und da wird das gezogen … und das gezogen …

Ich erinnere mich an eine Nacht, da waren wir am Südkreuz am S-Bahnhof. Da gibt es ein Glasdach und wir haben morgens auf dem Glasdach nackt Yoga gemacht! Wir waren alle Tänzer und fanden uns total schön. Wir sahen bestimmt toll aus … so als herabschauende Hunde von unten durchs Glasdach … (lacht) Aber ganz im Ernst: Berlin und der Berghain-Dschungel hätten mich gut verschlingen können.

Die Rettung für mich war, dass ich die Eignungsprüfung der Folkwang in Essen bestanden habe und von Berlin nach Essen ziehen konnte, um Tanz zu studieren. Hätte ich das nicht gemacht, wäre ich wohl in Berlin verloren gegangen.

Wie ging es in Essen mit dir als Dragqueen weiter?

Neben meinem Studium habe ich gekellnert und dachte mir „Warum nicht als Dragqueen kellnern? Das macht bestimmt Spaß.“. Dann hat sich das ziemlich verselbstständig, was sehr schön war. Ich habe diverse Shows gespielt, beispielsweise Gays on Ice auf dem Kennedyplatz, bei Talentwettbewerben oder andere Dragshows. Einmal bin ich für einen Golfclub gebucht worden. Das war total absurd, weil da einfach 60 alte weiße Männer waren, die nichts damit anfangen konnten, dass da jetzt eine Transe vor ihnen rumhüpfte. Ich fand meinen Auftritt richtig gut, aber die waren so überfordert damit … das war mein schlimmster Auftritt. Auf die Zugabe habe ich dann mal verzichtet.

Aber ich hatte auch viele tolle Auftritte und habe zum Beispiel auch Anschluss an die schwule Fetischszene bekommen. Dadurch ist Miss Foxy Bless auch sehr fetischlastig geworden und trägt oft Gummi und Leder.

Ich gebe auch Drag-Workshops und habe letztens in Herne im Queer Jugendforum mit Kindern und Jugendlichen Dragkunst, -kultur und -geschichte gemacht. Das war super. Die Kinder da saugen einfach alles an Infos auf, weil sie in Herne einfach nicht viel haben. Und dafür sind sie aber so stark und machen ihr Ding, was mich echt beeindruckt hat.

Inwiefern?

Also da geht dann ein Jugendlicher einfach mit Perücke nach draußen, den Müll rausbringen. Und die bekommen so viel Hass dafür, aber sie ziehen es trotzdem durch. Und das ist echt krass. Da merke ich einfach, wie privilegiert ich aufgewachsen bin. Vor allem, wenn ich an diesen Save-Space in China denke. Wo wir einfach alle in diesem Dorf waren und man diese 12 bis 13 Freunde hatte und nicht mehr. Da war man in einer Bubble und egal, ob jemand schwul, Drag oder sonstwas war, es war einfach so und wurde von allen akzeptiert. Man mochte sich einfach, weil man hatte nur diese Leute. Große Teile meiner Schulzeit, die prägenden Jahre, die bei anderen durch viel Mobbing begleitet werden, wurden bei mir übersprungen.

Was bringst du bei deinen Workshops bei?

Es macht mir sehr viel Spaß mit Jugendlichen zu arbeiten. Mir ist es wichtig, viel von der Geschichte mitreinzubringen. Es ist wichtig zu wissen, woher es kommt und, dass es eben von gesellschaftlichen Normen geprägt wurde. Zurückgehend auf die griechische Mythologie. Die ersten Formen von Drag gehen zurück auf das viktorianische Zeitalter zu Zeiten Shakespeares, wo Frauen einfach nicht auf der Bühne stehen durften und Frauenrollen von Männern gespielt wurden. Und wenn die Kleider lang waren und über die Bühne „geschleppt“ wurden – „dragging on stage“ – da glaubt man, dass der Name Drag herkommt.

Würdest du sagen, dass Miss Foxy Bless eine Rolle ist oder bist du es?

Das ist schwierig zu sagen. In den letzten Jahren sind Miss Bless und Jan immer mehr zueinandergekommen. Ich glaube, es ist aber schon so, dass es eine Bühnenpersönlichkeit von mir ist. Natürlich bin ich etwas anders, wenn ich als Jan zuhause auf der Couch sitze. Aber ich lerne auch viel von Miss Bless. Mit der Perücke, dem Outfit und der Schminke … 95% der Menschen wissen, dass es eine Dragqueen ist. Allen ist klar, dass es eine Kunstfigur ist und man kann Sachen machen und sagen, die man sonst nicht tun würde. Für die man sonst komisch angeguckt werden würde. Du kannst auf den Tischen tanzen, du kannst blöde Sprüche drücken, du kannst Leute anflirten oder Kante geben, was man sich sonst nicht trauen würde. Weil du weißt, dir kann als Kunstfigur niemand etwas übelnehmen. Das ist wie ein Schutz. Und das bricht für sich selbst auch ein bisschen Grenzen auf. Man fragt sich, warum man für sich selbst nicht so einstehen kann, wie es Miss Bless tun würde. Und da lernt man natürlich schon, dass man das auch für sich selbst tun darf.

Wie ist Miss Foxy Bless so?

Meine Form von Drag ist die, dass ich eine Femme Fatale, eine sehr starke Frau verkörpern möchte. Ich schlüpfe gerne in Dominanzrollen. Miss Bless ist sehr weiblich, immer mit Brüsten, mit falschen Hüften, 90-60-90, schöne Haare, Glitzeraugen, toller Kussmund – gib mir alles an Frauenklischees, die man äußerlich haben kann, damit ich sie auf der Bühne breche, indem ich ins Mikro rülpse!

Gerade in der Fetish-Szene ist für Miss Bless das Fetish-Outfit auch wie eine Art Schutzpanzer. Wie auch das Make-up ist das dann nochmal eine weitere Schicht, die einem ganz viel Kraft gibt. Es macht mir dann auch sehr viel Spaß, die heiße Diva zu sein. Am meisten Spaß habe ich, wenn ich Cis-Hetero-Männer im Publikum sitzen habe, weil die einfach oft stark verwirrt sind. Manche nehmen mir tatsächlich ab, dass ich eine Frau bin.

Hast du da schon mal Ablehnung in der queeren Szene erfahren?

Ich hatte mal einen Auftritt, bei dem ich hinterher mit einer Transfrau diskutiert habe. Sie wusste nicht, wie sie mit Drag umgehen sollte, da sie lange in einem Männerkörper gelebt hat, und unglücklich war. Sie hatte nicht das Privileg, im richtigen Körper geboren zu sein und einen sehr harten Weg hinter sich, um sich wieder richtig und gut zu fühlen. Und dann sieht sie einen Mann auf der Bühne, der von sich sagt, er lebe als CIS-Mann und spielt eine Frau auf der Bühne. Ich kann verstehen, dass man als Transfrau da das Gefühl hat, auf den Arm genommen zu werden. Gleichzeitig glaube ich, dass man in der queeren Szene an den gleichen Sachen zusammenarbeiten kann und gemeinsame Interessen vertritt. Gerade die queere und die Trans-Community rückt doch auch immer mehr zusammen. Ich finde die Diskussion trotzdem spannend.

Wie haben deine Eltern auf dich als Dragqueen reagiert?

Meine Mutter hat es ziemlich cool aufgefasst, als ich das erste Mal geschminkt nach Hause kam. Mein Papa nicht so. Wir hatten eine sehr schwere Zeit und es gab sehr viel Unverständnis. Mein Vater wusste lange nichts damit anzufangen. Er hat sich gefragt, ob sein Sohn jetzt eine Frau sein will. Wir haben darüber lange nicht miteinander geredet. Als ich das erste Mal zuhause geschminkt war, hat er mir gesagt „Ich gehe jetzt und wenn ich wieder komme, bist du nicht mehr geschminkt!“. Das war heftig, weil ich auch kein Verständnis dafür hatte, warum das jetzt für ihn schwierig war. Für mich war damals schon klar, dass ich ein homosexueller CIS-Mann bin, der sich in seinem Körper sehr wohl fühlt. Für mich ist Miss Bless eine Frau, die sehr weiblich ist, damit der Unterschied sehr groß ist. Mein Vater hat mich nicht verstanden.

Bis er mal auf einer Weihnachtsfeier mit meiner Lehrerin geredet hat. Da wurde ihm klar, dass es überhaupt nichts mit mir und meiner Geschlechtsidentität zu hat, sondern nur mit mir und meiner Art der künstlerischen Darstellung. Ich erinnere mich an einen Geburtstag einer Nachbarin, die sich gewünscht hat, dass ich in Drag-Kleidung komme. Da kam Papa zu früh nach Hause und sah mich. Er holte seinen Fotoapparat raus und sagte auf einmal „Jetzt lach doch mal.“ Und da war das Eis gebrochen.

Ich habe einfach lange nicht verstanden, dass es eben auch Menschen gibt, die das erstmal nicht verstehen. Es war auch das erste Mal, dass ich mit Ablehnung konfrontiert wurde, und das musste ich auch lernen.

Hast du einen Partner?

Ja. Wir haben uns in Essen kennengelernt, über eine Dating-App. Von meiner Seite aus sollte es eigentlich keine Beziehung werden, ich hatte nur Lust aufs Daten. Ich weiß noch, dass ich an dem Tag total experimentierfreudig war und es gab Brokkolisalat mit Apfel. Er kam zu mir und das Erste, was ich sagt, als Honke reinkam, war „Hmm. Das Hemd hätte man ja mal bügeln können.“. Wir hatten viel Spaß an dem Abend und liefen irgendwann auf Highheels durch meine Wohnung. Seitdem sind jetzt fast sieben Jahre vergangen. Honke ist fast 30 Jahre älter als ich, er arbeitete lange als freier Journalist, mittlerweile im Theater und unterstützt mich bei allem. Er ist mein größer Styleberater und Kostümmitdenker und hat immer den besten Geschmack für den letzten Feinschliff.

Ich weiß noch als ich mich vor meinen Eltern geoutet habe. Meine Mutter meinte da nur zu mir, dass ihre Mutter – also meine Oma – es ihr schon gesagt hatte, als ich gerade mal zwei Jahre alt war. Es war irgendwie allen klar und keine Neuigkeit. Generell sind meine Eltern eigentlich ziemlich cool, obwohl sie so spießig sind.

Ich habe damals in einem schwulen Fetischclub in Essen gejobbt, was für Miss Bless eine tolle Bühne war, denn Drag und Fetisch geht geil zusammen! Als ich das meinen Eltern erzählt habe, meinten die nur so „Ahja cool!“ Was mich total verwirrt hat, denn mein Vater hatte so viele Schwierigkeiten mit meinem Dragdasein, aber Fetischclub war für ihn völlig in Ordnung. Das war etwas, was er einordnen konnte, das passte irgendwie.

Was gefällt dir am Ruhrgebiet?

Als ich ins Ruhrgebiet gezogen bin, dachte ich nur „wow – hier ist so viel zu erleben“. Es gibt so viel Kultur und gleichzeitig kann man aber auch einfach nur seine Ruhe haben.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Ich wäre Miss Bless – ist doch klar. Ich wäre die Person, die so durchläuft, gut aussieht und aus Versehen total kluge Dinge sagt.

Das Interview führten wir im Juni 2023.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.