Richard Röhrhoff aus Essen

„Die Zeiten, wo Herr Haniel und Herr Krupp es für alle geregelt haben, sind jetzt nun wirklich um!“

Hallo Richard, stell dich bitte kurz vor.

Ich heiße Richard Röhrhoff, bin verheiratet, habe zwei Kinder und lebe mittlerweile in Essen-Haarzopf – früher habe ich zehn Jahre lang in Katernberg gewohnt und das auch sehr gerne. Ich bin Geschäftsführer der Essen Marketing GmbH und man könnte sagen Stadtmarketingchef in Essen.

Bist du in Essen geboren?

Nein. Ich komme gebürtig aus Mönchengladbach und habe da auch relativ lange gelebt und gearbeitet.

Was hast du früher beruflich gemacht?

Ich habe eigentlich immer was mit Journalismus und Events gemacht. Früher war ich auch mal Fußball-Reporter, habe aber immer schon viele Veranstaltungen organisiert. Irgendwann habe ich dann nicht mehr so richtig an den Journalismus geglaubt, habe schon früh gemerkt, dass das irgendwie schwierig wird, weil Content nicht mehr belohnt wurde. Dann habe ich mich mehr der Veranstaltungsszene gewidmet, bin ein bisschen rumgekommen und habe in verschiedenen Städten gearbeitet – auf Location-Seite oder freiberuflich.

Wie bist du dann nach Essen gekommen?

Durch meine Frau! Meine Frau habe ich kennengelernt, als ich in der Eifel gearbeitet habe. Sie hat aus mir einen soliden Menschen gemacht – also halbwegs ist ihr das gelungen (lacht). Sie hat 2007 begonnen, bei RWE zu arbeiten, und darum sind wir nach Essen gezogen. Das konnte ich mir früher nicht wirklich gut vorstellen – Essen hatte kein so gutes Image. Also Mönchengladbach ist jetzt auch nicht die geilste Stadt der Welt, zwar auch grün und schön und nah bei Holland, aber wenn man ins Ruhrgebiet gefahren ist, dann hat man geguckt, dass man da ganz schnell wieder weg kommt. Und das war bei mir schon ein bisschen verfestigt.

Meine Frau selbst ist Hamburgerin und meinte „Wir gehen da hin. Wir machen das jetzt einfach mal!“. Das Interessante war, dass die Nummer gar nicht so lange angelegt war. Wir sind so ein Klassiker: Wir ziehen da mal hin, gucken mal wie das da läuft, wahrscheinlich bleiben wir da gar nicht so lange. Und nun wohnen wir hier im eigenen Haus mit unseren Kindern und die sagen schon „Wuast“ und nicht mehr „Wurst“.

Du hast auch selbstständig gearbeitet. Was genau?

Ich hab eine kleine Beratungsfirma mit drei Leuten gehabt. Wir haben Standortmarketing gemacht und auch sehr ausgewählte Veranstaltungen. Und ich habe noch ein bisschen politische Kommunikation zusätzlich angeboten, also Lobbyist. Ich kann das gut und das macht mir Spaß.

Wie bist du dann zum Essen Stadtmarketing gekommen?

Das deutete sich dann einfach an. Ich war ja Wahlkampfleiter von Thomas Kufen und als er dann Oberbürgermeister wurde, haben alle gedacht, ich würde sofort ins Stadtmarketing gehen, weil meine Ideen denen von Thomas Kufen sehr ähnlich sind. Ein bisschen großstädtischer, ein bisschen moderner, ein anderes Image – und da muss man natürlich auch was für machen. Aber ich wollte erst noch weiter selbstständig arbeiten, ich brauchte Abstand und war auch noch nicht fertig. Nachdem mich aber viele Menschen aus der Wirtschaft und auch von unserem Gesellschafter EMS motiviert haben, bei der EMG anzufangen, bin ich seit Anfang 2018 dabei.

Was sind die nächsten Ziele? Was steht auf dem Plan?

Also auf dem Plan steht jede Menge. Wir haben die EMG, so würde ich sagen, auf Links gedreht. Dreiviertel der Strecke sind wir schon gegangen. Wir haben uns zuerst einmal ganz anders ausgerichtet. Die EMG war früher, was Veranstaltungen anging, sehr nach innen gerichtet. Das haben wir komplett gedreht. Wir sind nun ganz nach außen ausgerichtet, wir begreifen uns auch als diejenigen, die das Image verbessern. Wir sind sozusagen jetzt die Imageverbesserer der Stadt. Dafür brauchst du natürlich viel Offenheit. Wir arbeiten mit allen zusammen, die in der Stadt was Tolles machen wollen, was außenwirksam ist. Das drückt sich in ganz vielen Projekten aus, bei denen wir aber gar nicht immer vorne sind. Es geht ja nicht darum, dass die Essen Marketing das total geile Unternehmen ist, sondern es geht ja vielmehr darum, dass Essen eine coole Stadt ist.

Was sind das beispielsweise für Projekte?

Also wenn wir nicht auftauchen und alle finden Essen gut, dann haben wir einen mega Job gemacht. Ob das nun Konzertveranstalter sind, die wir unterstützen, ob wir Veranstalter motivieren, irgendwelche tollen Events in der Messe zu machen oder ob wir selbst große Leuchtturm-Events planen, wie die E-Sports-Europameisterschaft nach Essen zu holen oder einen großen Triathlon zu planen – alles zielt darauf ab, das Image Essens zu verbessern. Wir renovieren auch das Musikevent Essen Original durch, damit da wieder mehr nationale und internationale Stars auftreten. Wir treiben federführend den großen Innenstadt-Prozess voran: Unsere Innenstadt wird sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren massiv verändern. Bei uns läuft das in den Gedanken schon zusammen, also wird die Zukunftsvision entwickelt. Ob Imagewerbung, touristische Werbung oder touristische Produkte – wir haben so viel, was Essen früher nicht hatte – das macht richtig Spaß.

Was hat Essen, was sonst keine Stadt hat? Was macht Essen besonders?

Jetzt hau ich den gelernten Tourismus-Werbungs-Chef-Satz raus: Essen ist die einzige Stadt in Deutschland, wo man in 15 Minuten ein Weltkulturerbe, vier „van Goghs“ bei freiem Eintritt, einen der bedeutendsten Kirchenschätze Europas und einen See mit Wassersportmöglichkeit, Premium-Radweg und Wandersteig erreichen kann. Das hat keine andere Großstadt!

Wie hast du damals über Fußball berichtet?

Ich war ja beim Radio. Da habe ich schon während des Abiturs angefangen. Bei einem Fußball-Turnier, was mein eigener Verein veranstaltet hat – ein internationales Jugendturnier – habe ich kommentiert und bin dadurch entdeckt worden. Mit 19 habe ich mein erstes Bundesliga-Spiel übertragen – das werde ich nie vergessen: 76.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion, Hertha gegen Gladbach, 2:2, Tore Effenberg und Wynhoff. Und dann war ich insgesamt sieben Jahre mit der Mannschaft unterwegs. Ich durfte im Bus mitfahren und den DFB-Pokal festhalten, als Stefan Effenberg pinkeln gegangen ist, draus getrunken hab ich übrigens auch (lacht!).

Ich habe vom Radio sehr profitiert. Wenn du als Fußball-Reporter im Stadion sitzt, musst du ja mehrere Dinge gleichzeitig können: Du musst erfassen, was auf dem Spielfeld läuft, du musst es in Worte kleiden, gleichzeitig über das reden, was du gesehen hast und trotzdem das ganze Umfeld im Blick halten. Du musst also multitasken und wenn man das gut trainiert, dann behältst du das für das weitere Leben. Das ist das totale Effizienztraining. Ich kann ganz viele Sachen gleichzeitig machen, es gibt auch viele Leute, die können das gar nicht haben – das macht die verrückt. Ich will das aber nicht aufgeben.

Hast du studiert oder eine Ausbildung gemacht?

Ich habe studiert, aber nie zu Ende. Ich habe damals viel Geld mit den Spielübertragungen verdient und mit Veranstaltungen dann wieder in den Sand gesetzt (lacht wieder). Als 19-Jähriger 4.000 Mark im Monat – das war viel Geld – da studierst du nicht zu Ende. Im Nachhinein hätte es mir in meinem Leben Vieles leichter gemacht, wenn ich es getan hätte. Das sehe ich an meiner Frau. Sie ist Rechtsanwältin. Aber heute interessiert das auch keinen mehr. Da ich aber auch als Typ eher unangepasst bin, wäre ich in einem großen Konzern wohl nicht glücklich geworden. Das hätte meinen Vorstellungen und Neigungen nicht entsprochen. Wenn das aber junge Leute lesen: denen würde ich schon dazu raten, das Studium auch abzuschließen. Macht das mal feddich!

Welcher ist dein Lieblingsverein?

Borussia Mönchengladbach. Ich mag aber auch Rot-Weiß-Essen. Das ist ein schlafender Riese. Ich komme aus einer Fußballfamilie. Mein Vater war ein sehr erfolgreicher Fußball-Trainer im zweitgrößten Verein in Mönchengladbach. Dort ist mein Bruder auch jetzt noch sehr aktiv.

Du warst auch mal als Geschäftsführer für die Burg Satzvey tätig.

Das war eine verrückte Zeit, ich würde sagen, das war die härteste Zeit meines Lebens! Ich wollte damals was anderes machen, meine Beziehung in Gladbach war kaputt und ich musste mal raus. Dann bin ich in die Eifel gegangen und habe dort gute zwei Jahre gelebt. Da gab es nicht viele Möglichkeiten, außer zu arbeiten, und der einzige Punkt, an dem was los war, war Burg Satzvey. Jetzt bin ich nicht so der Mittelalter-Onkel, sondern kam als professioneller Eventer und Kommunikationsmensch in dieses Umfeld. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, denke ich immer an den Wirt unserer Taverne: Der war früher Chefkoch des 1. FC Köln und er ist der größte Witze-Erzähler, den ich kenne. Als eine Kölner Karnevals-Gesellschaft kam, hat er auf dem Tisch gestanden und Witze erzählt und ich hab ihm abends beim Kochen geholfen. In der Zeit habe ich das Weißwein-Trinken und allgemein viel über Wein gelernt.

Am Ende hat’s mit meinem Chef aber nicht gepasst, es war nicht gut, hat mir aber nicht geschadet, sondern mich stärker gemacht, es war eine lehrreiche Lebenserfahrung.

In deinem Xing-Profil steht Lichtkünstler. Was ist damit gemeint?

Licht – Event – Musik – das ist meine Welt und begann schon als 14-Jähriger beim Beleuchten der Dorf-Disco. Ich habe leider im Moment keine Zeit, selber etwas zu entwickeln. Dafür fehlt mir die Freizeit. Aber wir haben ja noch das Essen Light Festival. Das mache ich tatsächlich selber mit meinem EMG-Team. Ich hätte schon große Lust, woanders mal einen großen Platz zu beleuchten und mit Musik zu untermalen. Dieses Jahr habe ich das zur Eröffnung des Loreley-Parks gemacht. Da war ich mal nebenher tätig. Ich habe den Park mitentwickelt und dann wollte ich den auch selbst beleuchten. Ich liebe das. Du kannst mit Vorstellung arbeiten. Du hast ein Bild im Kopf und erreichst damit die Menschen. Der spannendste Moment ist die Premiere, wenn du auf die Besucher triffst. Ich muss dann immer rauchen, weil ich so nervös bin. „Hoffentlich finden die das gut, hoffentlich kommt es gut an.“ Du weißt es einfach vorher nicht.

Was ist dein Lieblingsplatz in Essen?

Da gibt es einige. Wir haben im Moment bei der Essen Marketing eine Serie auf Facebook und Instagram: der Mitarbeiter-Mittwoch. Da habe ich als meinen Lieblingsplatz den Brunnen mit knienden Knaben im Museum Folkwang benannt, da ich ihn für einen der besondersten Orte der ganzen Stadt halte. Es ist ein Ort der schönen Kunst, der so gar nicht zu Essen passt. Ein Ort der Ruhe, der Inspiration – wenn ich mal kreativ sein will, dann gehe ich da hin. Der Raum ist immer anders gestaltet. Der Brunnen macht irgendwas mit mir und da kann ich mich entspannen.

Was ist deine Lieblings-App auf dem Handy?

Kicker – checke ich täglich, und wenn was Wichtiges passiert, bekomme ich eine Nachricht aufs Handy.

Liest du?

Ja. Bella Germania habe ich zuletzt gelesen. Das wurde auch kürzlich verfilmt. Ich kann das nur empfehlen. Das ist ein Einwanderungsbuch. Dadurch ist mir nochmal klar geworden, wie tragisch das Leben laufen kann, ohne dass du was dafür kannst. Ich war glücklich nach dem Lesen, wie gut es mir doch geht und darüber, dass die Welt so ist wie sie heute ist. Das Buch zu lesen über Gastarbeiter vor dem Hintergrund der Flüchtlinge heutzutage hat mich sehr bewegt.

Was gefällt dir am Ruhrgebiet? Was gefällt dir nicht?

Mir gefällt, dass es hier eine unfassbare Offenheit gibt. Also diese Art, fremde Menschen aufzunehmen, das gefällt mir und ist eine unfassbare Stärke dieser Region. Das bewegt mich auch immer wieder. Ich merke das heute auch selber. Ich bin ja auch Einwohner. Wenn ich Leute kennenlerne, die hierher kommen, dann merke ich, dass ich mir sehr viel Mühe gebe, ihnen zu helfen, hier gut anzukommen. Und da kommt auch immer was Positives zurück.

Was mir nicht gut gefällt ist, dass mir das Ruhrgebiet in vielerlei Hinsicht zu unambitioniert ist. Ich glaube, es gibt wenige Regionen, die sich einreden wollen, eine Metropole zu sein, aber nicht das tun, was man als Metropole braucht. Damit habe ich echt ein Problem und dagegen kämpfe ich auch mit meiner Arbeit an. Hier müsste mehr Urbanität spürbar sein, und ich weiß, dass die Menschen da viel Bock drauf haben, aber immer auf irgendeinen warten, der das macht. Das Ruhrgebiet braucht mehr Eigeninitiative! Diese Zeiten, wo Herr Haniel und Herr Krupp es für alle geregelt haben, sind jetzt nun wirklich um! Selber machen!

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann und warum?

Ich möchte nicht, dass das Leben ein Comic wird. Ich mag nämlich keine Comics. Ich mag die Realität.

Das Interview führten wir im Juni 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.