Philipp Evers aus Essen

„Egal, was ich esse – ich kloppe immer Apfelmus obendrauf.“

Hallo Philipp, stell dich bitte kurz vor!

Ich bin Philipp, 29 Jahre alt – zum Glück steht noch die Zwei vorne! Ich wohne in Essen und fühle mich hier sehr wohl. Außerdem bin ich ein absoluter Familienmensch. Vor allem aber ist die Frage, wer ich bin, untrennbar mit dem Thema Musik verbunden.

Hast du dein ganzes Leben lang Musik gemacht?

Schon als Kleinkind saß ich ständig am Keyboard meiner Mutter und habe an den Tasten herumgedrückt. Die Musik zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Zuerst hatte ich nicht vor, dieses Hobby auch zum Beruf zu machen – aber dann kam es anders …

… und du bist professioneller Gitarrist geworden.

Obwohl ich zuerst Keyboard gelernt habe! Meinen ersten Unterricht hatte ich mit fünf. Als ich zwölf war, war mein Keyboardlehrer einmal krank. Der Vertretungslehrer sagte: „Von Keyboard hab ich keine Ahnung, aber ich kann dir gerne was auf der Gitarre zeigen!“ Am nächsten Tag hatte ich eine eigene Gitarre, zwei Wochen später konnte ich das erste Lied spielen. Zufällig wurde ich prompt in der Schule angesprochen, ob ich in eine Band einsteigen möchte. Seitdem habe ich immer in Bands gespielt.

Du bist heute außerdem Songwriter und Produzent.

Ich fand es immer toll, Musik nicht nur zu machen, sondern auch aufzunehmen. Ich habe mit 13 damit angefangen, natürlich mit sehr einfachen Mitteln und mehr schlecht als recht – aber das hat den Grundstein dafür gelegt, dass ich Musik heute auch professionell aufnehme. Und ja, ich schreibe auch Songs für andere Musiker.

Woher kommst du ursprünglich?

Geboren bin ich in Köln, aufgewachsen im Sauerland. Das Dorf heißt Langscheid und liegt am Sorpesee. Nach dem Abi kam ich zum Studieren nach Essen.

Was hast du studiert?

Zuerst Betriebswirtschaftslehre, wie mein Vater – ich hatte eigentlich den Plan, den Familienbetrieb weiterzuführen. Mein Schwerpunkt war Medienmanagement. Ich habe das Studium aber nicht abgeschlossen. Die ersten beiden Semester war ich noch fleißig und hatte gute Noten, aber dann war ich immer häufiger mit meiner Band auf Tour, wenn Klausurenphase war. Ich stand immer wieder vor der Wahl: Band oder Studium. Ich habe mich immer für die Musik entschieden. Darum hatte sich das mit dem BWL-Studium irgendwann erledigt. Das war aber in Ordnung für mich, denn ich dachte: Was soll ich Wirtschaft studieren, wenn ich durch und durch Musiker bin? Später hab ich dann noch Musikproduktion und Songwriting an der Kölner POP-Akademie studiert. Das hat mir den Feinschliff für das gegeben, was ich in meinem Leben machen will.

Du hast die Essener Band Kuult mitgegründet und bist bis heute ihr Gitarrist. War das die Band, für die du öfter Klausuren geschwänzt hast?

Nein, zuerst bin ich bei der Band In Veins eingestiegen, die machte Rockmusik mit orientalischen Einflüssen. Das war spannend, aber natürlich überhaupt nicht massentauglich. Mit dem Sänger von In Veins habe ich dann eine neue Band gegründet, die schon etwas poppiger war, aber immer noch rocklastig – Gardenier. So habe ich das Business kennengelernt und später dann Kuult gegründet. Das war noch mehr Pop – wir wollten etwas machen, was zu unserer Zeit passt.

Ist Kuult heute dein Beruf?

Kuult ist mein Hauptberuf. Für 2019 stehen schon 70 Konzerte an und wir bekommen weiterhin Anfragen. Ab Ende Januar gehen wir wieder zusammen mit dem Elektropop-Duo Glasperlenspiel auf Tour – durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Es ist verrückt, wie viel Zeit solche Auftritte in Anspruch nehmen, aber ich mache das sehr gerne. Als Musikproduzent und Songwriter arbeite ich außerdem mit Bands aus ganz Deutschland zusammen. Die Songs bei Kuult schreiben hauptsächlich Chris und ich zusammen – einige schreiben wir auch zu dritt. Uns ist es wichtig, authentisch zu sein und alles selbst zu komponieren und zu texten. Wir stecken als Band hinter jedem einzelnen Ton und machen auch unsere Alben komplett selbst.

Inzwischen hast du dir ein eigenes Tonstudio eingerichtet …

Ja, davor bin ich jahrelang von einem Kämmerlein ins andere umgezogen. Das war aber immer etwas rastlos und nicht so professionell, dass ich Künstler auch mal für zwei Wochen einladen konnte. 2016 habe ich mir dann einen Traum erfüllt und mir ein kleines, gemütliches Studio gebaut. Dazu gehört auch eine Wohnung, in der Bands schlafen können. Ich gehe jedes Mal mit einem Lächeln dorthin und denke: Toll, dass ich hier arbeiten kann. Mein Studio heißt übrigens „4everstudios“. Ich fand es cool, dass mein ganzer Nachname da drin steckt, es aber nicht gleich jedem auffällt.

Mit wem würdest du gerne mal arbeiten?

Am glücklichsten macht mich das Aufnehmen mit meinen Bandkollegen. Wenn unser Sänger Chris am Mikrofon steht und die Lieder singt, die wir zusammen geschrieben haben – das ist mir das Wertvollste und erfüllt mich mit dem größten Stolz. Ansonsten würde ich gerne mit jedem Musiker aufnehmen, der Rang und Namen hat. Denn jeder hat seinen eigenen Charakter und Stil und von jedem kann ich etwas lernen. Klar, würde ich zum Beispiel gerne mal mit Andreas Bourani aufnehmen – aber auch mit sehr vielen anderen Größen.

Hast du denn musikalische Vorbilder?

Ich habe in meinem Leben vergleichsweise wenig Musik von anderen gehört, sondern mir vor allem viel Eigenes ausgedacht. Songs zu covern fand ich immer langweilig, das war schon im Musikunterricht so. Wenn ich was nachspielen sollte, habe ich gesagt: Das macht mir keinen Spaß. Zum Glück wurde ich immer unterstützt, wenn ich etwas Eigenes machen wollte. Ein Idol oder sehr direkte Einflüsse habe ich deshalb heute nicht.

Ein Musiker ohne Einflüsse – das kann doch nicht sein!

Na gut – ich komme aus der Pop- und Metalmusik. Das kann man schon sagen. Entsprechend hatte ich früher sehr lange lockige Haare. Als ich klein war, hat auch meine Mutter viel Rock und Metal gehört, zum Beispiel Slipknot und Limp Bizkit. Die erste Musik, die ich selbst gemacht habe, war deshalb auch sehr hart. Wenn mein Vater früher zu meinen Konzerten kam, war er immer ziemlich irritiert, weil er überhaupt keinen Bezug dazu hatte.

Ist das heute anders?

Ja, inzwischen versteht er mich besser und ist sehr stolz auf das, was ich mache. Für mich war es gleichzeitig sehr wertvoll, früher auch Rock und Metal gemacht zu haben, denn technisch ist diese Musik sehr anspruchsvoll. Nur mit Pop hätte ich manche Sachen vielleicht nicht gelernt.

Fandest du es seltsam, von Rock und Metal zu Pop zu wechseln?

Das war eine sanfte Entwicklung, es wurde bei mir von Band zu Band poppiger. Das Schlimmste, was man als Musiker machen kann, ist, in Schubladen zu denken! Es gibt nicht nur eine Musikrichtung, die gut ist. Es ist schön, verschiedene Stile zusammenzubringen. Nur so ist es heute noch möglich, etwas Eigenes zu machen – sehr vieles gibt es ja schon.

Du warst in den letzten Jahren viel unterwegs und auf Tour. Haben Drogen für dich mal eine Rolle gespielt?

Ich würde mich als relativ vernünftigen Menschen bezeichnen. In der Schule hatte ich einen Freundeskreis, der extrem viel gekifft hat, zum Teil auch zwischen den Schulstunden. In der Freizeit habe ich manchmal mitgemacht, aber dann schnell gemerkt, das läuft hier in eine falsche Richtung. Nach ein paar Monaten habe ich einen Cut gemacht und hatte zu den Leuten dann keinen Kontakt mehr. Früher war ich viel in Essen feiern, im Café Nord und im Turock, oft im Hotel Shanghai und auch mal in der Mupa. Da habe ich teilweise extrem viel getrunken, manchmal eine ganze Flasche Whiskey in einer Nacht. Keine Ahnung, wie ich das damals durchgehalten habe. Aber das war nur eine Phase. Ich war nie ein Suchtmensch. Süchtig bin ich nur nach Apfelmus!

Das musst du bitte genauer erklären.

Ich bin mit ganz viel Apfelmus groß geworden! Egal, was ich esse – ich kloppe immer Apfelmus obendrauf. Egal ob Pizza, Lasagne oder Eintopf – es wird einfach alles besser damit. Diese Angewohnheit haben meine Geschwister und ich als Kinder von unserem Vater übernommen. Die Reaktion von Freunden und Bekannten ist meistens erst mal Entsetzen. Aber wenn ich sie dann überrede, doch einfach mal zu probieren, sagen die meisten: „Krass, ist ja voll geil! Kann ich auch ein bisschen haben?“ Es gibt auch eine spezielle Soße in unserer Familie, die Evers-Soße: Apfelmus gemischt mit Ketchup. Probier‘ das mal mit Spaghetti, das ist der Hammer! Also so viel zu Sucht.

Du sagst, du bist ein Familienmensch. Wie viele Geschwister hast du?

Zwei Schwestern und einen Bruder. Zwischen uns allen liegen jeweils vier Jahre, ich bin der Zweitälteste. Mein Bruder ist der Jüngste, er ist jetzt 22. Meine Geschwister sind meine besten Freunde, wir haben mit der ganzen Familie einen sehr engen Zusammenhalt. Das ist manchmal schon ein bisschen verrückt. Wenn wir mit der Band in der Nähe spielen, kommt meine ganze Familie. Wenn einer von meinen Geschwistern in der Nähe eine Veranstaltung hat, fahre ich da auch hin.

Fühlt sich deine Band inzwischen auch ein bisschen nach Familie an?

Absolut! Wir sehen uns ja untereinander mehr, als wir irgendjemanden sonst sehen. Da ist mittlerweile ganz viel Urvertrauen bei uns. Wenn es mal Streit gibt, dann nie um Grundsätzliches. Es sind eher Kleinigkeiten, nach dem Motto: „Ich will nicht mit dir im Doppelzimmer pennen, du schnarchst!“ Wir sind sehr unterschiedlich, aber nur dadurch wird unsere Band ein Ganzes. Würde irgendwer von uns gehen, würde das ganze Ding zusammenfallen.

Man sagt ja, Musiker müssen ein bisschen leiden, um gute Songs zu schreiben. Wie ist das bei euch?

Auf jeden Fall muss man sich das nötige Gefühl irgendwo herholen. Ich denke mich beim Musikmachen in Situationen, in denen ich ein bestimmtes Gefühl hatte. Zum Beispiel habe ich eine Klavierballade für meine Oma geschrieben. Wenn ich dieses Stück spiele, dann denke ich dabei fest an sie. Man kehrt sein Innerstes nach außen. Dazu gehören glückliche Momente genauso wie traurige. 

Habt ihr Fans, die euch schon lange begleiten?

Eine Frau aus München war schon auf 145 Konzerten von uns! Auf die Frage, ob das nicht langweilig wird, sagt sie: Nein, denn es sei jedes Mal etwas anderes. Das ist sehr schön zu hören – denn wir empfinden es auch so. Wir sind auf der Bühne sehr spontan und interagieren viel mit dem Publikum. Das macht unsere Konzerte sehr frei und witzig.

Hast du eine Lieblingsanekdote?

Da gibt es sehr viel. Witzig ist, dass wir offenbar eine besondere Verbindung zur Stadt München haben. Jedes Mal, wenn wir dort auftreten, schmiert ein anderer von uns ab. Letztes Mal waren wir in München nach unserem Konzert noch bei einer Jam Session. Weil es keinen Gin Tonic gab, habe ich dort Weißwein getrunken. Den gab es dort in großen Gläsern, damit kam ich offenbar nicht so gut klar – ich habe den Wein runtergekippt wie Wasser. Zuerst fühlte ich mich gar nicht betrunken. Aber als ich mich auf den Heimweg machte, konnte nicht mehr laufen und sprechen. Meine Bandkollegen haben mich wie im Film nach Hause gebracht: halb geschleift, halb getragen. Unsere Managerin hat leider das Problem, dass ihr auch schlecht wird, wenn jemand sich übergibt. Als wir im Hotel ankamen, fand sie meine Verfassung ziemlich zum Kotzen! Ein anderes Mal in München habe ich unseren Sänger Chris nach dem Konzert überall gesucht und fand ihn schließlich schlafend im Bad – mit dem Kopf im Klo! Ich wollte ihn ins Bett bringen, aber er murmelte nur: „Ach lass mal, das lohnt sich nicht.“

Was magst du am Ruhrgebiet?

Nach zehn Jahren hier ist das Ruhrgebiet mein Zuhause geworden. Ich finde es sehr schön hier, das Grüne ist gemischt mit Chaos und Industrieluft. Für mich ist das Ruhrgebiet eine einzige große Stadt und wird völlig unterschätzt. Es gefällt mir auch, dass du immer merkst, wer hierher kommt: Wie man redet und denkt, ist sehr charakteristisch im Ruhrgebiet. Die Menschen tragen das Herz auf der Zunge.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du und warum?

Mein Humor hat sich mit den Simpsons entwickelt. Mit der Serie bin ich aufgewachsen. Passenderweise geht‘s ja auch da um eine Familie. Ich bin vielleicht eine Mischung aus Homer und Bart. Und ein bisschen Lisa, weil sie so gerne Musik macht.

Das Interview führten wir im Februar 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.