Pauline Schwindenhammer aus Essen

„Wir wollen den Klimanotstand ausrufen.“

Hallo Pauline, bitte stell Dich kurz vor.

Ich bin Pauline Schwindenhammer. Ich bin 15 Jahre alt, mache verschiedene Dinge, aber aktuell am meisten Fridays-for-Future-Sachen. Nebenbei bin ich noch Pfadfinderin, Rettungsschwimmerin, habe zwei jüngere Geschwister und gehe in die zehnte Klasse. Ich bin in Essen geboren und aufgewachsen. Meine Eltern sind beide Ärzte und beruflich will ich auch mal in die Medizin gehen.

Wie bist du zum Rettungsschwimmen gekommen?

Ich war davor im Polizeisportverein, das Training dort fand ich allerdings nicht gut. Irgendwann habe ich vom DLRG gehört, fand das cool und habe darum beschlossen, stattdessen Rettungsschwimmerin zu werden.

Wann hast du als Pfadfinder angefangen?

Ich habe mit acht Jahren damit angefangen. Ein Freund, den ich aus dem Kindergarten kenne, hat mich angerufen und gefragt, ob ich Lust auf die Pfadfinder hätte. Dann bin ich direkt zur Gruppenstunde hin. Da fand ich’s total toll und bin danach auch regelmäßig dort hingegangen. Klar, im Moment ist das zeitlich ein bisschen schwierig, aber ich mache das ziemlich gerne und war auch auf dem Weltpfadfindertreff.

Was ist das, ein Weltpfadfindertreff?

Das war in den USA, dort waren dieses Jahr 50.000 Leute, die aus der ganzen Welt kommen. Es gibt auch nur fünf Staaten auf der Welt, wo es keine Pfadfinder gibt, die dann natürlich auch nicht vertreten sind. Aber sonst wirklich alle. Bei den Amerikanern waren als Ausrichtungsland 10.000, bei den Deutschen circa 1.300 Pfadfinder und Pfadfinderinnen vertreten.

Wie waren deine Eindrücke vor Ort?

Wir waren einen Tag in Washington. Das war sehr eindrucksvoll und schön, aber auch extrem heiß. In den Tagen darauf, in den Akklimatisierungstagen, war es auch so warm, dass wir sogar freiwillig gewaschen haben, weil wenigstens das Wasser kalt war. Interessant war es festzustellen, wie sehr die Amerikaner da alles durchgeplant hatten. Die haben alles strukturiert und wir hatten selbst für das Duschen einen festgelegten Zeitrahmen.

Die beeindruckendste Zeit war aber mit Abstand die im Hauptlager in West Virginia. Es ist schon wirklich ungewohnt und beeindruckend, wenn auf einmal 50.000 Leute auf einem Fleck zusammenkommen und soweit das Auge reicht nur Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus aller Welt, in Uniform und Halstuch, zu sehen sind.

Ich habe am Cultural Day für die protestantischen Christen einen kurzen Text gesprochen. Vor 50.000 Leuten! Es klingt vielleicht blöd, aber aufgeregt war ich eigentlich nicht. Kurz vor dem Auftritt bin ich den Text schon noch ein paar Mal durchgegangen, aber eigentlich war es echt okay.

Wie oft findet das Treffen statt?

Alle vier Jahre, das nächste ist in Südkorea, wo ich auch gern hinmöchte. Es gibt so etwas, das nennt sich International Service Team, da möchte ich, wenn es möglich ist, mitmachen. Es ist zwar ein bisschen skurril, weil man Geld dafür bezahlen muss, um zu arbeiten. Aber es lohnt sich einfach sehr, alle sind total weltoffen, freundlich und du kannst jeden um Hilfe bitten.

Wie seid ihr so organisiert als Pfadfinder?

Es gibt verschiedene Verbände, evangelische und katholische Strukturen, aber auch konfessionslose oder auch einen reinen Mädchenverband. Das öffentliche Bild von den Pfadfindern ist natürlich sehr durch amerikanische Filme geprägt, „jeden Tag eine gute Tat“ und so weiter, aber wir verteilen keine Kekse oder so. Bei uns ist es so, dass es verschiedene Stufen gibt, die sich durch unterschiedliche Halstücher, die man dann bekommt, erkennen lassen. Als erstes wird man beispielsweise Wölfling, da kriegt man bei uns ein blaues Halstuch mit orangenem Rand.

Du hast mir erzählt, dass du katholisch warst, aber zum evangelischen Glauben konvertiert bist. Was hat dich dazu getrieben?

Ich bin katholisch getauft worden. Während der Predigten sind wir Kinder zum Spielen immer in einen anderen Raum gegangen, weil der Gottesdienst für uns langweilig war. Irgendwann wollten wir gar nicht mehr zum Gottesdienst gehen. Dann waren wir mal in einer evangelischen Kirche und der Pfarrer dort war super und hat wirklich tolle Kindergottesdienste gehalten. Da sind wir freiwillig jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Dann bin ich zusammen mit meinen Eltern konvertiert, meine Geschwister sind erst später getauft worden.

Wie bist du zu Fridays for Future gekommen?

Ich bin schon so aufgewachsen. In meiner Familie war es immer normal, dass man beispielsweise Wasser nicht einfach laufen lässt, sondern sparsam damit umgeht.
Es gab mal einen Abend, da habe ich mich mit meinen Eltern darüber unterhalten, wie langsam und nicht fortschrittlich das alles mit der Klimapolitik läuft und, dass man mal was machen muss. Später habe ich dann auf mein Handy geguckt und hatte da zufällig eine Nachricht von meiner Cousine. Sie hat mir einen Zeitungsausschnitt geschickt, wo der Aufruf für den 18. Januar für die erste größere Demo in Essen war. Da bin ich dann hingegangen und seitdem bin ich dabei.

Es gibt bei mir in der Schule einen Klimarat, und da bin ich seit der sechsten Klasse Mitglied und engagiere mich.

Wenn du zu den Demos gehst, wie läuft das dann mit der Schule?

Ich habe geguckt, dass ich so oft hingehe, wie es geht. Fridays for Future gibt es in Essen ja seit Dezember 2018, die Klimaaktivistin Greta Thunberg streikt bereits seit August 2018. Da war sie erst ganz alleine, aber dann wurden es immer mehr. Nicht so vorteilhaft ist, dass ich freitags meine Hauptfächer habe, wenn man dann zum Beispiel eine Klassenarbeit schreibt, ist es blöd, die letzte Stunde davor zu verpassen. Dann habe ich bisher auch manchmal gesagt, ich bleibe lieber hier und schreibe eine gute Note. Auch wenn es sich doof anhört, ein bisschen muss man natürlich auf seine Noten gucken und einen Kompromiss finden.

Nehmen viele aus deiner Schule an den Demonstrationen teil?

Für die erste Demonstration während der Schulzeit haben wir viele mobilisiert, da waren fast alle aus unserer Klasse da. Nach kurzer Zeit hat sich ein eher fester Kern aus vier Leuten gebildet, der zu normalen oder Großdemonstrationen geht. Meistens aber eher zu Großdemonstrationen.

Wie fasst das deine Schule so auf?

Wir kriegen keine Steine in den Weg gelegt. Wir müssen, wenn wir zu den Demonstrationen gehen, einen Antrag auf Befreiung stellen, und wenn der durchgeht, können wir auch teilnehmen, ohne dass wir Fehlstunden eingetragen bekommen. Das ist aber eine sehr große Ausnahme, dass eine Schule so damit umgeht. Darüber bin ich auch sehr dankbar. Die Bedrohung des Klimawandels wird von unserer Direktorin und den Lehrerinnen und Lehrern verstanden und ernst genommen und sie unterstützen uns damit in unserem Protest.

Wer organisiert diese Demos?

Es gibt ein Orgateam, das besteht aus circa 20 Leuten in der Vorbereitung. Und darin sind dann Schüler, Studenten und auch ein paar ältere Leute, zum Beispiel von Parents for Future. Die unterstützen uns auch tatkräftig. Das Team organisiert für jeden Freitag die Demonstrationen, die dann meistens auf dem Willy-Brandt-Platz in Essen starten. Am 20.9. war eine Großaktion, die 12 Stunden gedauert hat. Mit einer Demo und Bühnenprogramm mit Bands und Wortbeiträgen. Zudem gab es einen Markt for Future mit Angeboten zu nachhaltigem Konsum und klimafreundlicher Mobilität in Form von Infoständen.

Was sind eure Forderungen?

Erst einmal stehen wir natürlich auch hinter den offiziellen Forderungen von Fridays for Future. Aber beispielsweise wollen wir auch, dass der Klimanotstand ausrufen wird. Ich finde es so traurig, dass Herr Kufen sich 2017 dafür gefeiert hat, dass Essen „Grüne Hauptstadt Europas“ ist und sich jetzt so an einem Wort aufhängt. Einen Notstand fürs Klima auszurufen, da verweigert er sich, weil das nicht gut klingt. Da stellen sich alle quer. Wir hatten da zwar eine gewisse Hoffnung, aber Herr Kufen ist einfach stur.

Und was für eine Bedeutung würde es haben, den Notstand auszurufen?

Es würde bedeuten, dass alle Angelegenheiten, die durch den Rat gebracht werden sollen, erst geprüft werden müssen, ob sie dem Klima schaden. Wenn ja, dann muss es klimaschonend verändert werden. Und erst, wenn das passiert, dann kann man es beschließen. Das wären schon weiterreichende Konsequenzen.

Ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg ein Vorbild für dich?

Ja, weil sie den Mut aufgebracht hat, erstmal zu sagen: „Leute, es gibt ein Problem! Macht was und schwätzt nicht immer nur“.

Ich stelle es mir aber auch sehr bedrückend vor, nicht einfach vor die Tür gehen zu können. Sie muss ja ständig aufpassen, was sie sagt, weil so viele Leute Hass auf sie haben. Da habe ich auch jetzt Angst vor, wenn ich mal unaufmerksam bin und was Falsches sage, dass die Presse mich und damit auch Fridays for Future zerreißt. Diesen Druck halte ich zwischendurch mal aus, aber jeden Tag zu jeder Zeit könnte ich mir das nicht vorstellen.

Was magst du am Ruhrgebiet?

Es gibt vieles, dass ich mag, aber auch einige Dinge, die ich nicht so gut finde … Unser Welt-Kultur-Erbe wie die Zeche Zollverein und die vielen kulturellen Angebote und die Natur um den Baldeneysee finde ich sehr schön. Am See bin ich sehr gerne. Allerdings empfinde ich manchmal spürbare Bedrücktheit und das doch auch vorhandene Grau. Essen ist nach wie vor eine Autostadt, sehr eintönig und manchmal beengend.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Vielleicht wäre ich so eine Ich-will-das-nicht-Disney-Prinzessin, so eine wie Mulan.

Das Interview führten wir im September 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.