Matthias Bohm aus Gladbeck

„Wer ein Startup gegründet hat, weiß: Das ist wie ein Baby.“

Hallo Matthias, bitte stell dich kurz vor.

Ich bin Matthias Bohm, 36 Jahre alt und Gründer des Mode-Startups Grubenhelden. Bis vor etwas mehr als drei Jahren, als ich es gegründet habe, hatte ich noch nichts mit Mode zu tun. Ich war zwar modeaffin, aber habe bis dato nie eine Nähmaschine selbst bedient. Ich habe ursprünglich Sport studiert und Jahre meines Berufslebens im Sponsoring-Bereich eines Profifußballvereins verbracht. Die Grubenhelden sind als Hobby gestartet und mittlerweile Berufung.

Was zeichnet „Grubenhelden“ aus?

Wir erzählen die Geschichte des Ruhrgebiets, des Bergbaus und der Kohle und damit auch die Geschichte meines Uropas, der Bergmann war, mit Mode und damit auf eine stylische und coole Art und Weise. Wir arbeiten in jedes Produkt den Hemd- oder Jackenstoff der Bergleute mit ein, um deren Geschichte zu erzählen und ihre Werte aufrechtzuerhalten – nicht plakativ, sondern mit dem nötigen Respekt. Ohne die Bergleute gäbe es uns jetzt hier einfach nicht. Seit Ende vergangenen Jahres ist Schicht im Schacht, wir fördern in Deutschland keine Steinkohle mehr. Uns geht es darum, diese Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern weiterzutragen.

Du warst bei der New York Fashion Week – wie hat sich das ergeben?

2017 wurden wir vom Marketing-Club Ruhr mit dem Tacken als bestes Startup ausgezeichnet. Das ist ein Preis für Gründer im Ruhrgebiet. Und was mich da geritten hat, weiß ich bis heute nicht, aber auf der Preisverleihung habe ich auf der Bühne gestanden und gesagt „Wie kann ich meinem Uropa und all den Kumpeln am besten Danke sagen? Dafür, dass ich in einem der sichersten und wirtschaftskräftigsten Ländern der Welt leben darf. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass ich am nächsten Morgen etwas zu trinken oder zu essen bekomme, keine Sorgen um meine Sicherheit, wenn ich auf die Straße gehe. Wie kann ich also im Bereich Mode am besten Danke sagen? Indem ich auf der größten Fashion-Show der Welt in New York die Grubenhelden präsentiere.“ Dann bin ich von der Bühne runtergegangen zu meinen Leuten und habe die erst mal gefragt, ob ich das gerade wirklich laut gesagt hätte. Die haben mir das netterweise bestätigt und somit war das ausgesprochen. Wie wir dahin kommen, wusste ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht.

Und dennoch ist es euch gelungen …

Wer uns ein bisschen länger kennt, weiß, dass wir nicht nur quatschen, sondern auch machen und malochen, das zeichnet uns hier im Pott aus. Und keine zwei Jahre später haben wir das dann tatsächlich geschafft und saßen im Flieger nach New York. Wir haben das dort wohl auch nicht schlecht gemacht, denn wenn die New York Times über einen berichtet, dann kann man wohl sagen, dass wir da ein Ausrufezeichen gesetzt haben. Damit haben wir genau das erreicht, was ich damals auf der Bühne gesagt habe: der ganzen Welt von dieser Geschichte zu erzählen.

Wie habt ihr euren Auftritt auf der Fashion Week dokumentiert?

Das war unsere allererste Fashion-Show, in Deutschland haben wir keine einzige veranstaltet. Unser Ansatz war es, keinen cleanen Laufsteg zu haben, sondern stattdessen eine Kaue nachzuempfinden – demnach ist unsere Show mehr wie ein Theaterstück gewesen, das unsere vier Bergleute eröffnet haben, drumherum sind die Models gelaufen. Es war für uns alle wie ein Film, deswegen war ich froh, dass wir Videografen dabei hatten, die das netterweise gedreht haben und ihr Material als Dokumentarfilm im Oktober 2019 ins Kino bringen.

Wo findet man eure Läden?

Wir haben zwei Grubenhelden-Stores. Einen im „Freiraum“ in Gladbeck in einer alten Zechensiedlung. Zufällig läuft man dort nicht vorbei, da muss man aktiv hinkommen. Der Laden war früher ein Lebensmittelgeschäft, der die Bergleute versorgt hat, das Kühlhaus ist sogar noch da. Dann durften wir im letzten Jahr auf Zollverein unseren zweiten Store eröffnen, denn auch dort haben die Verantwortlichen verstanden, dass wir nicht irgendeine Merchandising-Bude sind, die das Thema Ruhrpott aufgreift, um ihren persönlichen Profit daraus zu ziehen, sondern, dass wir die Geschichte so verpacken, wie es einem UNESCO-Welterbe würdig ist. Mit Zollverein als Denkmal, als visuellen Anker, und mit Klamotten in einer hohen Wertigkeit. Es ist aber schon spannend, wie viele Leute zu uns kommen, die nicht einmal aus dem Ruhrgebiet kommen. Aus ganz Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich … Bei uns in Gladbeck, in der alten Zechensiedlung!

Gab es dabei mal irgendein Erlebnis, das für euch besonders war?

Ja, es gab ganz großartige Momente, einer davon hat ganz besonders unseren Auftritt in New York geprägt. Da kam ein älteres Ehepaar bei uns in den Laden mit einem Blauen Sack in der Hand. Aus dem holte die Dame einen alten Bergkittel heraus, die Tracht der Bergleute. Und sie erzählte, dass ihre Mama gerade verstorben sei. Bei der Haushaltauflösung hätten sie dort diesen Bergkittel von ihrem Papa gefunden, der Bergmann war. Sie packte dann ein altes Foto von ihrem Papa aus, das war von 1938. Und da trug er diesen Bergkittel, den sie mir gerade geschenkt hatten.

In New York wurde das dann der Aufhänger. Wir haben dort die Epochen der deutschen Steinkohle anhand der Klamotten im Zeitraffer erzählt, und so ist das erste Teil auf dem Laufsteg in New York der Original Bergkittel, den sie mir geschenkt hatte. Als letztes Teil von 2019 ist unser Mantel gelaufen, der genauso heißt wie dieser Papa, nämlich Aloys.

Sind es diese Erlebnisse, die dich zu deiner Arbeit motivieren?

Absolut. Ich empfinde es als Pflicht unserer Generation, diese Geschichten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Wir versuchen, sie in Klamotten weiterleben zu lassen. Nicht nur die Geschichte, sondern auch viele Werte, die dahinterstehen und die die Jungs unter Tage malochen ließen. Das hat viel mit Zusammenhalt und Ehrlichkeit zu tun. Gerade in einer politischen Situation wie sie sich gerade entwickelt. Unter Tage waren alle schwarz. Da war es egal, wer man ist, man musste sich aufeinander verlassen können. Das ist ein großes Bild, was wir gerne im Korb mit nach oben fördern, also nicht nur Geschichte, sondern auch eine große Kraft an Werten. Wenn uns das mit unseren Klamotten gelingt, haben wir ganz viel erreicht.

Du lässt fair produzieren, wie sieht das aus?

Ein großer Teil unserer Produktion findet in Portugal statt, wir versuchen gerade unseren gesamten Prozess mit dem Fair Trade Logo zertifizieren zu lassen. Dafür eruieren wir gerade, wo die Baumwolle bei den Bauern herkommt. Alles, was wir zum Beispiel in New York gezeigt haben, haben wir bei uns in Gladbeck genäht.
Die Herstellung von einem T-Shirt ist nicht wie bei einer Flasche Wasser, mit der der Mensch das erste Mal Kontakt hat in dem Moment, wo er die Flasche aus dem Kasten nimmt und aufschraubt und wo vorher alles maschinell passiert ist. Menschen fertigen Kleidung mit der Hand. Da sitzt jemand mit seiner Nähmaschine und näht die einzelnen Teile, die dann ein T-Shirt ergeben, per Hand zusammen. Der Stoff kostet Geld, die Arbeit kostet Geld. Wenn man sich ein T-Shirt für 1,50 € kaufen kann, funktioniert das nicht fair.

Was machst du so in deiner Freizeit?

Wer ein Startup gegründet hat, weiß: Das ist wie ein Baby. Und ein Baby gibst du nicht ab, sondern es ist 24 Stunden Teil deines Lebens. Das ist für mich Grubenhelden auch. Freizeit gibt es in diesem Sinne nicht, für mich ist Grubenhelden aber auch keine Arbeit. Dafür macht es zu viel Spaß. Klar würde ich mich freuen, mal wieder auf den Tennisplatz zu gehen und ein bisschen Sport zu machen, aber in dem Moment wo das Projekt so viel Spaß macht, gerät alles andere einfach in Vergessenheit.

Du gehst also mit Haut und Haar in deinem Label auf.

Das kann man sagen. Ich glaube nicht an Zufall oder Glück. Alles muss so passieren, wie es passiert. Meine Maschine läuft (klopft auf Holz), der Körper ist fit, das ist die Grundvoraussetzung. In dem Moment, wo du den Körper quälst, hör damit auf! Das geht nie gut, sondern eskaliert irgendwann. Ich hab nur ein Leben und das darf ich genießen und mit großartigen Menschen verbringen, darüber bin ich wahnsinnig froh.

Was magst du am Ruhrgebiet?

Für mich ist es eines der geilsten Flecken Erde. Das ist meine Heimat, ich komm hier wech. Der Menschenschlag ist großartig, du weißt sofort, woran du bist. Größtenteils kann ich dir sagen „Du bist scheiße, ne“, das begründe ich dir noch netterweise kurz und drei Stunden später stehen wir zusammen an der Theke und trinken ein Bierchen zusammen und alles ist gut.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du?

Peter Pan. Erwachsen werd‘ ich nämlich nicht.

Das Interview führten wir im Juli 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.