Lisa Moczala aus Bochum

„Ich lebe in einer polyamorösen Beziehung.“

Hallo Lisa, stell dich doch bitte kurz vor!

Ich bin Lisa Moczala, 29 Jahre alt und wohne in Bochum. Ursprünglich komme ich aus Dorsten.

Was machst du beruflich?

Ich bin angestellte Fotografin und habe eine Ausbildung in Fotografie gemacht. Eigentlich wollte ich auch studieren, aber davor hatte ich Angst, weil man sich da schon in den Arsch treten muss. Ich bin faul. Und bei der Ausbildung habe ich für mich den Vorteil gesehen, dass ich direkt auch den Studiostress mitbekomme und eingearbeitet werde. Die Wahrscheinlichkeit dann auch nach der Ausbildung übernommen zu werden ist dann auch nicht so gering.

War Fotografin dein Traumberuf?

Nicht wirklich. Eigentlich wollte ich Mediengestalterin werden. Ich finde auch Werbung interessant. Aber nach der Schule habe ich erstmal eine Tischlerlehre angefangen. Mich hatte ein Tisch so begeistert, der bei der Mutter eines Freundes stand. Das war eigentlich ein Kommode, aber ausgeklappt wurde es zu einem riesigen Tisch. Ich war absolut fasziniert von diesem Tisch. Diese Kombination von Schönheit und praktischer Verwendung fand ich klasse. Sowas wollte ich auch machen.

Und warum hast du die Tischlerlehre nicht beendet?

Ich bin bis ins dritte Lehrjahr gekommen und habe dann mit einem Nervenzusammenbruch abgebrochen. Das war tatsächlich auch eine gute Entscheidung für mich. Ich wollte in dem Beruf nicht mehr arbeiten. Das Risiko, in diesem Berufsfeld auf weitere Menschen zu treffen, die sich nicht einmal mit mir auseinandersetzen wollen und mich bis aufs Blut mobben, war mir zu hoch. Mir hat es auch gefehlt, mit Menschen zu arbeiten. Holz ist toll, keine Frage, aber es ersetzt nicht den Umgang mit Menschen.

Was ist dein Hobby? Du hast Rollschuhe mitgebracht?

Ja! Ich habe sehr viele sportliche Hobbies. Eins davon ist eben Rollerskaten. Angefangen habe ich damals mit Inlinern. Ich bin früher auch mit meinem Hund zusammengefahren. Das Rollschuhfahren habe ich dann gestartet, weil mich die Skaterin Michelle Steilen aka estrojen inspiriert hat. Das ist eine sehr bekannte Rollerskaterin, die auch eine eigene Marke gegründet hat, Moxi. Ich hatte eine Video von ihr gesehen, wie sie in der Straße streetskatet – also auf irgendwelche Sachen draufspringt, 360-Grad mit einer Drehung runter und ohne Schoner ohne alles. Fliegt dann voll aufs Knie, steht auf und hat nicht mal gezuckt! Das hat mich fasziniert und ich dachte mir „ich will genauso hart und schön sein wie sie.“ Ich fahre aber mit Schonern – so hart wie sie bin ich dann doch nicht.

Das Auf-die-Fresse-fliegen haben wir wirklich verlernt. Als Kind probiert man noch alles aus, fällt hin und steht wieder auf. Das ist eine Mentalität. Was Neues auszuprobieren fällt vielen schwer, weil man Angst hat, zu versagen. Dann lässt man es lieber ganz sein. Denn Auf-die-Fresse-fallen ist so unangenehm. Und mit dem Sport ist es eben so, dass du hinfällst. Das ist in Stein gemeißelt. Das wird definitiv passieren. Je nachdem, wie heftig du skatest, werden die Unfälle auch gefährlicher. Aber selbst wenn du nur geradeaus fährst, wirst du irgendwann stolpern. Und das muss dir klar sein. Einmal bin ich aus etwa drei Metern Höhe aufs Kinn gefallen. Da hatte ich wirklich Glück, weil nichts passiert ist.

Es ist aber so, dass mir der Sport einfach Spaß macht. Ins Fitnessstudio muss ich mich schleppen, aber wenn ich skate, bin ich glücklich.

Was hast du noch für sportliche Hobbies neben dem Skaten?

Ich habe Taekwondo gemacht, Kickboxen und sogar eine Weile Tennis gespielt. Ich liebe auch Kraftsport, ich mache Strongman-Sport.

Strongman – was ist das genau?

Der Name ist eigentlich Programm. Neben dem schweren Heben, Drücken und Beugen kommt noch ein Cardio-Aspekt dazu, da man viele Wiederholungen auf Zeit machen muss. Wie bei eigentlich jedem Sport finden auch hier Wettkämpfe statt. Ich habe schon beim Wettkampf Static Monsters mitgemacht. Da gab es zwei Disziplinen: Kreuzheben und Loglift, das ist wie so ein Baumstamm mit Griffen, den man hochheben muss, einmal aus der Hocke und einmal übers Kreuz.

Auf Instagram nennst du dich „massives Knie“. Was hat es damit auf sich?

Ja! Das hat tatsächlich einen ganz romantischen Hintergrund. Damals in der ersten Phase der Verliebtheit hab ich meinen Exfreund gefragt, was ihm eigentlich besonders gut an mir gefällt. Und er hat damals super trocken gesagt „deine massiven Knie“. Und das war in der Beziehung damals das einzig lustige, was er jemals gesagt hat. Und ich musste so lachen und fand das klasse. Außerdem ist der Name einfach immer frei, wenn ich mich irgendwo anmelden möchte.

Du lebst in einer Beziehung zu dritt?

Genau. Ich lebe in einer polyamorösen Beziehung. Eigentlich zu viert. Letztes Jahr im August habe ich meinen jetzigen festen Freund – Marius – kennengelernt. Über eine Online-Plattform habe ich dann zusätzlich Chris kennengelernt, der auch eine feste Partnerin hat. Mit Chris und seiner Freundin unternehme ich oft was zusammen. Ich habe auch noch einen dritten Mann kennengelernt, aber der meldet sich nicht so wirklich oft. Ich muss auch niemandem hinterherrennen. Der ist aber eher monogam unterwegs, aber er weiß alles von mir.

Früher waren meine Beziehungen immer monogam. Ich stehe überhaupt nicht auf One-Night-Stands. Bis ich mit jemandem schlafe, muss erst etwas Zeit vergehen und man muss sich besser kennenlernen. Ich küsse auch nie beim ersten Date. Da habe ich schon oft die Männer weggestoßen. Das gibt es bei mir nicht.

Suchst du noch im Internet nach weiteren Partnern?

Ich gucke hin und wieder online nach Dates. Mit den beiden bin ich aber gerade ganz gut ausgelastet.

Wie hast du deinen zweiten Freund, Chris, kennengelernt?

Wir haben letztes Jahr im Dezember angefangen zu schreiben. Hatten dann über Weihnachten Pause und erst im Januar wieder geschrieben. Ich wollte erst die Finger davon lassen, denn in seinem Profil stand ja, dass er in einer festen Partnerschaft ist. Ich hatte
schon mal was mit jemandem, der in einer offenen Ehe gelebt hat, und das ging nicht so gut.

Was hat daran nicht geklappt?

Da hab ich mir ordentlich die Finger verbrannt. Am Ende hatte ich eine Stalkerin, die mich nicht in Ruhe gelassen hat. Das Pärchen war aber auch mental nicht dafür geschaffen. Die hatten Regeln, die sie auch nicht eingehalten haben. Die Frau hatte mir beispielsweise geschrieben, dass ich ruhig Spaß mit ihrem Mann haben könnte. Nach deren Regeln hätte sie mir gar nicht schreiben dürfen. Ich hab ihr gesagt, dass wir das auch beenden können, wenn sich ihre Gefühle ändern. Ich will ja niemanden verletzen und wollte nur Erfahrungen sammeln. Mir wurde selbst von meinem Exfreund weh getan, der mich betrogen hat. So wollte ich nicht sein. Das war damals der Auslöser für meine polyamorösen Beziehungen heute.

Und mit Chris hast du es dann doch probiert?

Marius und ich waren eher offen unterwegs. Und ich wollte Erfahrungen sammeln. Wir sind ein gutes Team. Wir sprechen auch über alles. Marius ist allerdings eher polygam. Da muss man zu polyamorös unterscheiden! Polygam heißt ja, dass man mehrere Sexualpartner hat, bei einer polyamorösen Neigung liebt man mehrere Partner.

Mit Chris habe ich mich dann getroffen – das erste Date hat fast neun Stunden gedauert … wir haben uns zum Sport in seiner Garage getroffen.

Wie ist das beim Sex? Zu dritt oder nur zu zweit?

Ich hatte mit Chris und seiner Freundin auch schon einen Dreier. Mit Marius möchte ich wahrscheinlich keinen Dreier haben. In keiner Konstellation. Ich könnte es mir mit ihm und einem anderen Mann zusammen vorstellen, mit einer zweiten Frau aber nicht. Das wäre mir zu aufregend! Bei Chris ist das kein Problem. Das ist ja auch seine Partnerin. Ich bin allerdings noch in meiner Bi-Ausprobierphase. Ich bin bi-neugierig und finde Frauen schön, aber ich stehe dann doch eher auf Männer.

Was ist mit Eifersucht? Ist das ein Thema?

Ich habe anfangs auch immer in mich reingehört: Was fühle ich, wenn ich sehe, wie Chris seine Freundin küsst. Aber da war in mir immer nur zu hören „Ist ja klar. Die lieben sich.“ Es war und ist alles in Ordnung für mich. Es ist ja nicht so, dass ich deswegen weniger gemocht werde.

Marius hat jetzt auch mit der Freundin von Chris was angefangen. Wir sind so ein Vierergespann geworden. Die Intensität ist nochmal etwas anders als zwischen Chris und mir, aber wir waren auch schon zu viert spazieren und dann haben Marius und die Freundin von Chris Händchen gehalten.

Na klar. Eifersucht kommt auch hin und wieder mal vor. Ich behaupte, dass das ganz normal und menschlich ist. Aber, anstatt eine Szene zu machen, wie es in einem Hollywoodstreifen vorkommen würde, fühlt man lieber einmal in sich hinein, woher das Gefühl kommen könnte und sucht dann nach einer Lösung. Kommunikation ist hier der Schlüssel! Einmal hat Marius zum Beispiel die Freundin von Chris im Eifer des Gefechts zu stark gebissen, sodass sie einen blauen Fleck hatte. Da ist es in mir hochgekocht, weil er sie ja quasi „markiert“ hat, etwas, was auch niemand mit mir machen dürfte. Aber als wir darüber gesprochen haben, war es auch schon wieder ok für mich. Schließlich tragen wir Partnerschmuck und haben uns für öffentliches Commitment entschieden. Das wiegt doch viel mehr als ein Abdruck, der nicht mal mit der Intention gemacht wurde, jemanden zu markieren. Also eigentlich superdumm von mir, sich darüber aufzuregen.

Was plant ihr für die Zukunft? Hochzeit? Kinder?

Also Kinder sind für mich raus! Ich kann nicht mal alleine meine Steuererklärung machen, da mache ich sicher keine Kinder. Das ist mir zu viel Verantwortung.

Wohnst du mit einem Partner zusammen?

Noch nicht. Aber Marius und ich überlegen das. Wir sind ja aber auch erst ganz frisch zusammen. Mit allen würde ich aber nicht zusammenziehen wollen. Es wäre aber schön, wenn man in der Nähe wohnen würde. Marius und ich haben auch überlegt, in unserer nächsten Wohnung einen Dating-Keller einzurichten. Wir haben es auch „Bums-Keller“ genannt. Damit ein Raum dafür zur Verfügung steht, wenn man sein Date nicht outsourcen kann. Ich fänd es auch nicht schlimm, wenn mal jemand drittes am Frühstückstisch sitzen würde. Aber hören möchte ich es nicht! Bei Marius. Bei Chris wäre es mir egal. Man merkt also schon, dass da so ein bisschen Eifersucht im Spiel ist.

Wie reagieren Familie und Freunde auf eure polyamoröse Beziehung?

Alle sind total locker und haben gar kein Problem damit. Meine Familie würde es auch nicht stören, wenn ich noch mehr Partner hätte. Die sind eher verwundert, dass ich seit ein paar Monaten überzeugter Veganer bin, als davon. Wirklich!

Deiner Mutter geht es nicht gut, was ist da passiert?

Meine Mutter ist Anfang dieses Jahres auf der Arbeit zusammengebrochen. Erst dachten wir, dass es ein Schlaganfall gewesen sei, weil sie schon mal einen hatte. Meine Mutter ist 59 Jahre alt. Sie arbeitet bei Rewe als Kassiererin und wollte den Kunden nach der Payback-Karte fragen. Auf einmal konnte sie nicht mehr sprechen und ist zusammengebrochen. Es war irgendwie Glück im Unglück, weil im Supermarkt viel Krankenhauspersonal war, weil der direkt neben einem Krankenhaus lag.

Es kam dann raus, dass es zwei Gehirntumore waren. Einer konnte noch operativ entfernt werden, aber der andere liegt zu sehr mittig und man kommt nicht dran. Sie hat dann Strahlen- und Chemotherapie bekommen. Sie will leben, sie hat noch keinen Bock zu sterben! Momentan sind ihre Blutwerte ein bisschen besser geworden, was mich sehr freut.

Verstehst du dich gut mit deiner Mutter?

Ich habe eine sehr enge Beziehung zu meiner Mutter. Die ist über die Jahre sogar noch enger geworden. Ich hatte auch eine sehr tolle Kindheit. Viel Liebe, Geduld, Aufmerksamkeit und Abenteuer.

Ihr ging es sowieso nicht so gut, weil sie den Suizid meines Vaters noch verarbeiten musste. Sie hat da lange an ihrer Psyche gearbeitet und jetzt ging es ihr gerade etwas besser und dann kommt der blöde Tumor. Das ist unfair und man fühlt sich so machtlos.

Wie hat sich dein Vater das Leben genommen?

Mein Papa ist mit dem Auto weggefahren und hat uns einen Abschiedsbrief hinterlassen. „Es tut mir leid, ich liebe euch.“ stand da. Das war vor drei Jahren. Er hat sich dann an einer Raststätte mit 42 Schlaftabletten das Leben genommen. Das war lange von ihm geplant. Er hatte „seelischen Krebs“ – Depressionen und vermutlich auch noch ein bisschen mehr. Manchmal wirkte er verwirrt, vermutlich hatte er auch noch eine Psychose. Für sich selbst war er unheilbar krank und hatte Angst Demenz wie sein Vater zu bekommen und uns zur Last zu fallen und sich selbst zu verlieren. Für ihn war das sein Ausweg.

Der Verlust war für mich sehr schlimm. Ich habe mit meinem Vater zusammen Musik gemacht und wir haben in einer Band gespielt. Er hat mich damals auch zum Taekwondo gebracht und wir haben zusammen Kickboxen gemacht. Wir hatten ein sehr, sehr enges Verhältnis zusammen. Ich bin auch immer noch in Therapie, um das zu verarbeiten. Ich glaube auch nicht, dass meine Trauer irgendwann vergehen wird. Aber auch wenn ich traurig bin, habe ich ja trotzdem das Recht, glücklich zu sein.

Was gefällt dir am Ruhrgebiet und was nicht?

Hier sagt man sich schon mal brutal die Meinung. Da können andere nicht mit umgehen, aber das ist nicht böse gemeint. So ist der Ruhrpott. Sehr ehrlich! Diese Vielfalt, die hier überall zu finden ist. Egal was du hier machen willst, du findest immer Gleichgesinnte. Und den „Mut zur Hässlichkeit“ hat das Ruhrgebiet echt drauf.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Son Goku von Dragonball. Der ist so herzlich ehrlich und isst die ganze Zeit. Möchte kämpfen, aber nicht um jemanden zu verletzen, sondern um sich zu messen. Das finde ich nicht schlecht. Damit kann ich mich gut identifizieren.

Das Interview führten wir im Juli 2021.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.