Helge Jepsen, 58, aus Essen
„Sonne immer oben links.“
Hallo Helge. Schön, dass du da bist. Erzähl doch mal ein bisschen über dich.
Mein Name ist Helge Jepsen, Jahrgang 66, geboren in Flensburg und 1986 nach Essen gezogen. Ich habe Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration an der Uni GHS Essen studiert – im Diplom steht Gott sei Dank noch das heilige Wort „Folkwang“.
Ich habe das Glück gehabt, beim Studium von richtig guten Leuten umzingelt gewesen zu sein – 1986 haben unfassbar viele unfassbar gute Zeichner und Fotografen mit mir angefangen zu studieren. Der Austausch mit den Kommilitonen war fast wichtiger als das Studium selbst, auch von den Professoren habe ich viel mehr gelernt, wenn ich sie privat sprach, als wenn ich ihre Vorlesungen besucht habe.
Im dritten Semester habe ich während der Zeigung, einer Art Tag der offenen Türen an der Uni, meinen ersten Job bekommen. Es ging um T-Shirt-Designs für Esprit. Das war mein erstes, nicht mit Eis verkaufen oder Zeitungen verteilen, verdientes Geld. Seitdem bin ich selbstständig.
Siehst du dich eher als Dienstleister oder als Künstler?
Definitiv als Dienstleister! Auf keinen Fall als Künstler. Auch wenn Leute meinen, ich sei Künstler, sehe ich mich nicht so. Ich fange im Gegensatz zu einem Künstler erst an zu zeichnen, wenn das Honorar geklärt ist.
Was machst du genau?
Schwerpunkt ist bei mir immer das Zeichnen gewesen. Ich bin und bleibe die Abteilung „Buntstift“. Vor 14 Jahren habe ich das erste einer Reihe von Spielzeug- Büchern herausgebracht: Männerspielzeug. Da bin ich von einem eher cartoonigen Stil wieder zurück zum realistischen Zeichnen gekommen, was entsprechende Aufträge nach sich zog. 2016 gab es im TeNeues Verlag meine Bücher „99 automobile Klassiker und ihre Spitznamen“ und „99 automobile Rennklassiker und ihre Spitznamen“. Autos sind seit frühester Kindheit meine große Leidenschaft. Mittlerweile sind 80 Prozent meiner Jobs Autozeichnungen. Unter anderem bestücke ich wöchentlich die Rubrik Technik und Motor in der FAZ, da darf ich jede Woche ein aktuelles Testfahrzeug zeichnen, welches teilweise noch gar nicht auf dem Markt ist. Vielleicht zeichne ich deshalb privat auch am liebsten alte Autos, weil die Flut an oft nicht so hübschen Neuwagen irgendwie mit hübschem Altblech kompensiert werden.
Wie produzierst du deine Bilder? Digital oder ganz klassisch?
Bis vor fünf Jahren habe ich noch Bleistiftskizzen eingescannt und digital bearbeitet. Aber dieser Papierberg, der da entsteht – von der Skizze bis zum fertigen Bild – ist platzraubend, unnötig, nicht umweltschonend und schlicht auch arbeitsintensiver. Dann bin ich umgestiegen und habe die Zeichnungen inklusive der Skizzen ausschließlich digital am Grafiktablet erstellt. Wenn man in Photoshop zeichnet, hat man unzählige Möglichkeiten zu korrigieren, mit Farben zu spielen und so weiter, ohne jedes Mal komplett bei null neu anfangen zu müssen.
Du hast einen ganz eigenen Stil. Was macht den aus?
Mein Licht setze ich in meinen Zeichnungen immer nach oben links. Meine imaginäre Sonne quasi, sodass der gezeichnete Schlagschatten stets nach rechts geht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich Rechtshänder bin und die Arbeitslampe beim Zeichnen immer links war. Man will ja den Schatten der Hand nicht auf dem Blatt haben. Das ist eine Kontinuierlichkeit, die sich auch durch alle Auto-Zeichnungen zieht. Ich habe immer eine schwarze Outline, die Lichtsituation ist immer die gleiche – das macht meines Wissens kein Auto-Fotograf. Mir macht das Lichtsetzen immer extrem Spaß, denn so haben alle Zeichnungen einen wiederkehrenden, erkennbaren Stil und passen in eine Sammlung – und ich sammle sehr gerne! Mittlerweile neben echtem Lego und echten Uhren nicht mehr echte Autos, sondern Zeichnungen davon. Ich muss die Autos gar nicht wirklich besitzen, ich habe nur noch das Ziel, alle Autos, die ich wirklich mag, irgendwann einmal gezeichnet zu haben.
Wenn du nicht Kommunikationsdesigner geworden wärst, was wäre sonst dein Traumjob gewesen?
Was ich sonst noch sehr gerne wäre, ist Reisejournalist, Uhrmacher oder Rennfahrer. Reisejournalist, weil ich sehr gerne reise und noch einiges von der Welt sehen möchte. Ich bin für das Hochglanz-Automagazin „ramp“ ein paarmal in der Weltgeschichte unterwegs gewesen – dreimal in den USA und einmal in Island. Ich habe von denen einen Leihwagen gestellt bekommen und durfte dann eine illustrierte Reisereportage machen. Also habe ich nebenbei diesen Traumjob auch ausüben dürfen. Und zu meiner Oldtimer-Veranstaltung „The Dukes Of Downtown“, die ich in Essen-Rüttenscheid regelmäßig organisiere, lasse ich neben dem üblichen Merchandising-Quatsch wie T-Shirts, Hoodies, Kappen, Rucksäcke, Tassen und so weiter auch immer eine von mir gestaltete mechanische Uhr herstellen. Das ist dann eine limitierte Auflage für diejenigen Teilnehmer, die wie ich sowohl auto- als auch uhrenverseucht sind. Also darf ich auch noch Uhrmacher spielen. Und bei meiner Oldtimerveranstaltung bin ich zwar kein Rennfahrer, habe aber immerhin zwei alte Sportwagen, die ich im Wechsel zügig auf den Landstraßen um Essen herumbewege.
Was ist das genau für eine Veranstaltung?
Die Dukes of Downtown sind entstanden, weil meinem guten Freund Phil Hinze, Betreiber der Zweibar in Rüttenscheid, und mir aufgefallen ist, dass die Dichte der Oldtimer in Essen ziemlich hoch ist. Wir hatten dann die tollkühne Idee, die alle mal zusammenzuführen – und das direkt in Rüttenscheid direkt vor der Zweibar. Der Begriff „Downtown“ für den Teil Rüttenscheids kam von Phil, die „Dukes“ von mir – in Anlehnung an die „Dukes Of Hazzard“, eine PS-lastige Serie aus den 70ern. Das war schon ein großes Ding, ein Stück der Rüttenscheider Straße sperren zu lassen! Wir haben Flyer drucken lassen und hinter die Scheibenwischer von Oldtimern geklemmt, wenn wir welche gesehen haben. Wir hatten keine Ahnung, ob auch nur ein einziger Besitzer reagieren und kommen würde.
Wann war dann die erste Veranstaltung?
Das war am zweiten Samstag im September 2009. Wir hatten einen Grillstand und einen Bierwagen vor der Zweibar aufgebaut. Und es hätte auch gut sein können, dass wir allein da stehen bleiben. Aber dann kamen zum Glück so an die 30 bis 40 Autos, das passte ziemlich genau auf das gesperrte Straßenstück. Viele Oldtimerbesitzer, die das vorher nicht mitbekommen hatten, haben direkt gesagt, dass sie beim nächsten Mal auch gerne dabei wären. Und dann ging es los, dass wir mit einem Mailverteiler gezielt eine geneigte Zielgruppe anschreiben konnten. Die Teilnehmergruppe wurde immer größer – zum Schluss hatten wir über 100 Autos dabei, mittlerweile machen wir aus Platzgründen bei 111 Autos Schluss.
Wer darf alles teilnehmen?
Teilnehmen darf eigentlich jeder, der ein cooles Auto hat. Und was cool ist, bestimmen Phil und ich. Es muss kein Oldtimer sein, aber es sollte schon ein besonderes Auto sein.
Was fährst du für ein Fahrzeug?
Mein „altes“ Fahrzeug ist ein mittlerweile 25-Jahre altes Z-3-Coupé von 1998, mein „richtig altes“ Auto ist ein Engländer von 1974, ein Reliant Scimitar GTE SE5A. Beides sind Shooting Brakes, also Zweitürer mit einer etwas größeren Ladefläche als für Sportwagen üblich. Eine Mischung aus Kombi und Sportwagen, die mir seit Ewigkeiten sehr gefällt. Beide habe ich selbstredend auch schon nur für mich gezeichnet.
Was magst du am Ruhrgebiet?
Die Menschen hier und die Wohnung, in der ich seit fast 20 Jahren wohne. Mit dem Umzug in diese Wohnung und noch mehr mit dem Zusammenziehen mit meiner Frau ist das für mich das perfekte Zuhause geworden. Das könnte theoretisch auch ganz woanders sein, aber hier in Rüttenscheid ist es fast wie auf dem Dorf. Wenn ich durch die Straßen gehe, grüße ich alle paar Meter jemanden, den ich kenne. Es ist wie mein nordfriesisches Heimatstädtchen Bredstedt: Du gehst aus der Tür und triffst immer jemanden. Rüttenscheid ist halt auch nur ein Kiez, nur nicht so abgehoben wie teils in Berlin oder Hamburg. Dann mag ich natürlich die Offenheit der Menschen hier, der ganze Schlag Mensch ist irgendwie auch deswegen so sehr in Ordnung, weil er recht ehrlich und offen ist.
Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?
Eigentlich will oder wollte ich nie irgendein Comic- oder Film-Held sein. Naja, außer Winnetou vielleicht … Aber wenn ich mir eine Comicwelt aussuchen dürfte, in der ich als Helge Jepsen leben dürfte, dann wäre es die von Tim und Struppi, weil mich der Zeichner Hergé extrem geprägt hat. Die Autos, die Schiffe, die Städte, diese klare Linie, die er gezeichnet hat … schlussendlich erkennt man das in meinen Zeichnungen wahrscheinlich wieder. Ich habe ein bisschen mehr Licht und Schatten, generell mehr – manche sagen: zu viele – Details in meinen Arbeiten. Jede Zeichnung bekommt erst die Outline, dann die Farbe und der Moment, wenn Licht und Schatten noch nicht gesetzt sind, ist für mich die Tim-und-Struppi-Stufe. Da denke ich oft: „das kannst du eigentlich so lassen“, aber dann zeichne und fummle ich doch noch Ewigkeiten weiter. Im Grunde wäre aber die Tim-und-Struppi-Version auch schon schön und wäre sehr viel schneller fertig. Ich glaube, eine Sache, die man als Zeichner schnellstens lernen sollte, ist es, den Moment zu erkennen, wo etwas fertig ist. Nicht perfekt, aber fertig. Aber weil man nie – oder wirklich sehr sehr selten – zu 100 Prozent zufrieden ist, macht man ja immer neue Zeichnungen.
Das Interview führten wir im Januar 2024.
Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.