Doro Ostgathe aus Essen

„Wenn die Wurzeln so tief gehen, dann ist es doch ganz natürlich, dass ich hierhin gehöre.“

Hallo Doro. Stell dich doch bitte einmal vor.

Ich bin Doro Ostgathe und wohne schon immer in Essen, das heißt, seit 57 Jahren. Ich bin Illustratorin und Grafikerin aus Leidenschaft. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht male oder zeichne, das ist meine Art, die Welt zu verstehen. Es ist ein großes Glück, dass ich genau das zu meinem Beruf machen konnte.

Ich und mein Freund Dietmar wohnen seit fast 30 Jahren in einem Familienhaus in Rüttenscheid mit meinen beiden Schwestern und ihren Familien zusammen. Das ist ganz lustig. Wir sind alle sehr unterschiedlich – auch unsere Männer. Einer ist Musiker, einer Polizist und einer Werbefuzzi, aber das passt einfach.

Warst du schon immer selbstständig?

Nach dem Abitur an der BMV Schule habe ich erstmal eine Lehre als Schauwerbegestalterin gemacht. Danach habe ich zwei Jahre in einer Werbeagentur in Essen gearbeitet und mir dann gedacht: Wenn ich jetzt nicht noch studiere, mache ich es gar nicht mehr! Ich bin an der Essener Uni angenommen worden und habe Kommunikationsdesign studiert, bevor ich mich dann selbstständig gemacht habe, und das ist mittlerweile 27 Jahre her.

Was illustrierst du hauptsächlich?

Ein Thema, das mich immer wieder fasziniert und das ich immer wieder in meinen freien Arbeiten aufgreife, ist „Menschen und ihre Tiere“. Da geht es um die Beziehung von Mensch und Tier und wie sie sich äußerlich und innerlich immer ähnlicher werden.

Beruflich habe ich viel für Lern-Spiel-Verlage wie Westermann gearbeitet: die Illustration von Kinderspielen oder auch eine Kinderfibel für die Grundschule. Da werden Zeichnungen gebraucht, die komplexe Themen so einfach wie möglich darstellen. Einer meiner Lieblingskunden sind die Stadtwerke Essen, hier darf ich mich mit erfreulich wenig Vorgaben illustrativ austoben. Ich durfte so lustigen Figuren wie Dramunkulus und Karlchen ein Gesicht gegeben oder gestalte die in Insiderkreisen sehr begehrten Kinobecher und das übrigens im zehnten Jahr!

Eine Sache, an der mein Herz hängt, sind die Portraitbilder, die ich nach Auftrag zeichne. Hierbei kann man mir Fotos von sich, seiner Familie, seinen Haustieren schicken und ich mache daraus ein Familienportrait. In lustig natürlich, anders kann ich nicht!

Deine Illustrationen gibt es auch auf Schmuckstücken. Wie ist es dazu gekommen?

Über die „kreative Klasse“ habe ich in den letzten Jahren tolle Menschen getroffen und mit einigen sind schöne gemeinsame Projekte entstanden. So habe ich auch Kirstin von „Zwei machen Schmuck“ kennengelernt. Sie hatte die Idee mit den Sternzeichen. Das ist ein Thema, mit dem jeder etwas anfangen kann, aber die Schmuckstücke, die es bislang so gibt, sind ein bisschen altbacken. Ich habe dann die Zeichnungen dafür gemacht und Kirstin hat sie in eine tolle Form gebracht, als Anhänger und als Armband.

Du hast zwei ganz niedliche Hunde. Wie heißen die beiden?

Manni und Friedel.

Mein Freund und ich leben schon sehr lange mit Hunden zusammen. Als unser letzter Hund gestorben ist, war das so traurig für uns, dass wir entschieden haben, ins Essener Tierheim zu gehen, um eigentlich erstmal nur Spaziergänger zu werden und Hunde auszuführen. So lange, bis uns wieder ein Hund begegnet, der zu uns passt. Aber dann kamen Manni und Friedel! Verdächtig war, dass man im Tierheim direkt am gleichen Tag bereit war, sie uns zu überlassen und das zwei Tage vor Weihnachten. Das Essener Tierheim ist nämlich nicht gerade bekannt dafür, Tiere schnell abzugeben, aber wahrscheinlich haben die Tierheim-Mitarbeiter schon geahnt, dass bei Friedel etwas im Busch war …

Wir haben uns ziemlich schnell gewundert, dass sie immer dicker wurde. Als wir dann zum Tierarzt gingen, hat der uns nur zur bevorstehenden Geburt beglückwünscht. Und zwei Wochen später war es dann auch schon soweit.

Wieviele Welpen hat sie bekommen?

Friedel hat drei wunderschöne Welpen bekommen und hat alles super gemacht. Wir konnten die Kleinen im Freundeskreis vermitteln.

Kennst du die Geschichte von Manni und Friedel? Warum waren sie im Tierheim?

Die beiden sind tatsächlich in Rüttenscheid in der Christophstraße ausgesetzt worden. Sie waren an einer Laterne angebunden. Das war im November – wo Manni doch immer so friert! Nach zwei Tagen hatte sich im Tierheim wohl eine Frau gemeldet und meinte, dass das ein Versehen war und sie die Hunde doch wiederhaben möchte. Das Tierheim hat sie aber nicht wieder zurückgegeben, denn ein Tier auszusetzen ist ein Strafbestand. Jedenfalls haben sich da unsere Wege kurz vor Weihnachten gekreuzt und jetzt sind sie schon fast drei Jahre bei uns.

Wie würdest du dein Leben beschreiben?

Es gibt einen Kinofilm, dessen Titel mich ganz gut beschreibt: „Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss.“ In meinem Leben gab es bisher keine großen Aufreger. Ich habe auch schon immer in Essen gelebt und hoffe, hier auch nie wegziehen zu müssen. Meine Kindheit habe ich an der Ruhrallee verbracht. Meine Mutter fand damals die Kindergärtnerin doof, deshalb war ich vormittags zuhause, wenn alle anderen Kinder in unserer Gegend im Kindergarten waren. Ich war dann entweder draußen auf den Wiesen hinter unserem Haus oder ich habe gemalt. Und das zieht sich durch mein Leben. Ich bin auch jetzt sehr viel mit den Hunden draußen unterwegs oder ich male. Und ich liebe es, dabei Hörspiele zu hören!

Welche Hörspiele sind das?

Es gibt ein Hörspiel von Doris Dörrie, das ich bestimmt schon zehnmal gehört habe: „Was machen wir jetzt?“. Großartig und sehr weise. Ansonsten höre ich querbeet. Zuhören und dabei malen ist fast schon meditativ.

Mein Vater hatte damals ein Tonbandgerät, mit dem er meine Schwestern und mich aufgenommen hat. Meine Schwester Sabine hat dann ganz schräg Klarina gespielt, Jutta hat was gesungen und ich habe aus meinen Hörspielplatten rezitiert. Ich kann heute immer noch den ganzen Max und Moritz auswendig. Und jede Menge Gedichte.

Hast du Lieblingsmaler oder Vorbilder?

Mein großes Vorbild als Illustrator ist Walter Trier. Der hat unter anderem die Cover für viele Bücher von Erich Kästner gemacht. Emil und die Detektive zum Beispiel. Technisch perfekte, sehr reduzierte Zeichnungen, aber mit Herz. Seine Figuren leben einfach.

Was magst du am Ruhrgebiet? Warum bist du nie weggezogen?

Für mich hat sich nie die Frage gestellt. In den letzten Jahren habe ich immer mehr gemerkt, wie sehr ich mit dem Ruhrgebiet verbunden bin. Das hat mich früher nie so wirklich interessiert. Vor drei Jahren ist mein Vater verstorben. Und als ich seine Sachen zusammengeräumt habe, habe ich auch seine Memoiren mal wieder gelesen. Er hatte sich darin die Mühe gemacht und unseren Stammbaum zusammengetragen. Der erste Ostgathe, der namentlich erwähnt wurde, ist aus dem 14. Jahrhundert und hat in Essen gewohnt. Wenn die Wurzeln so tief gehen, dann ist es doch ganz natürlich, dass ich hierhin gehöre.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Ich wäre Little Nemo.

Winsor McCay hat Anfang des 20. Jahrhunderts für den New York Herald die „Little Nemo in Slumberland“-Comics gezeichnet, sehr farbenfroh und sehr skurril. Nemo ist ein kleiner Junge. Der Comic fängt immer so an, dass er ins Bett gebracht wird, einschläft und dann kommt irgendwas unter dem Bett hervor und er erlebt im Traum total verrückte Sachen. Beim letzten Bild plumpst er wieder in sein Bett und die Mutter kommt ins Zimmer, um ihn zu wecken. Nemo und ich haben beide viel Fantasie und: Wir schlafen und träumen beide gerne!

Das Interview führten wir im Dezember 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.