Dominique van de Pol aus Essen

„Coco Chanel war für mich der erste Punk.“

Hallo Dominique, stelle dich doch bitte kurz vor.

Ich bin Dominique und bin als Mode-Expertin an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit, Trendforschung und Styling tätig. Das heißt, ich konzipiere diverse Kommunikationsformate rund um das Thema Mode: Zum Beispiel entwickle ich Ausstellungen über Modegeschichte, halte Trendvorträge, schreibe für verschiedene Buchprojekte, veranstalte Styling-Workshops, Fotoshootings und Mode-Events, wie etwa diesen Sommer meine Green Shopping Tour zu den besten Adressen für Grüne Mode in Essen.

Nach meinem Mode- und Textildesign Studium absolvierte ich einen internationalen Master of Arts in Fashion Strategy an der Hochschule der Künste in Arnheim in den Niederlanden. Nach einigen Jahren im internationalen Modemarketing für Marken in Europa, der Schweiz und in Asien habe ich mich dann selbstständig gemacht und unter anderem begonnen an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg am Fachbereich für Mode- und Textilwissenschaften zu unterrichten und Seminare zum Thema Modetheorie zu halten. Da habe ich gemerkt, wie sehr es mir Spaß macht, dem Thema Mode Tiefgang zu verleihen und meine Begeisterung an andere Menschen weiterzugeben.

An welchen Projekten hast du schon gearbeitet?

Ich habe mir in den letzten Jahren die Freiheit gegönnt, einfach mal alles zu machen und auszuprobieren, worauf ich Lust habe und ich habe ganz unterschiedliche Projekte umgesetzt.

Ich entwickle verschiedene Konzepte zum Thema Mode, die in die Tiefe gehen und eine Brücke zu unserem Alltag schaffen. Zum Beispiel habe ich mal vor einiger Zeit vom CentrO in Oberhausen eine Anfrage bekommen. Da sollte ich zu einigen Dekaden des 20. Jahrhunderts eine Modeausstellung konzipieren. Das sollte wie eine Zeitreise für den Besucher aufgebaut werden und ich habe die 60-er und die 80-er umgesetzt. Im Laufe des Projekts kam dann auch eine Kooperation mit der Uni Wuppertal zustande aus der dann wieder neue Projekte entstanden sind. Die Modeausstellung im CentrO war jedenfalls ein total schönes Projekt. Und am Ende wurde ich dann sogar mit dem Verfassen aller Ausstellungstexte, auch für die ganzen anderen Dekaden betraut. Worte und Bilder sind mein wichtigstes Ausdrucksmittel, ich schreibe unheimlich gerne.

Von einem Verein aus Heidelberg für körperbehinderte Frauen und Mädchen habe ich zum Beispiel eine Anfrage für einen Styling-Workshop bekommen. Dafür habe ich dann das Thema Frida Kahlo umgesetzt. Der Prozess war für mich selber auch super spannend. In letzter Zeit habe ich aber gemerkt, dass ich mich stärker fokussieren möchte und das Thema Nachhaltigkeit ist einfach mein Steckenpferd.

Welche Modeära interessiert dich am meisten?

Es ist total spannend, sich durch die Geschichte der Mode zu bewegen und auf eine Zeitreisen in vergangene Dekaden zu begeben. Ich finde gerade die 1920-er Jahre waren eine sehr interessante Zeit. Ich hab ja auch diese 20-er Jahre Retro-Styling-Workshops gemacht, wo ich Frauen zeige, wie sie sich in dem Stil schminken und stylen können. Ich finde es inspirierend, wie sich in dieser Zeit das Frauenbild so radikal verändert hat. Coco Chanel zum Beispiel war für mich der erste Punk, die es genossen hat zu schocken und zu provozieren. Mit ihrem persönlichen Stil hat sie das damalige Ideal der Weiblichkeit komplett unterwandert und in Frage gestellt. Sie hat sogar von ihren Liebhabern die Klamotten angezogen, beispielsweise auch deren Hosen. Und damals waren ja Hosen für Frauen noch absolut verpönt. Für mich steht die junge Coco Chanel damit in krassem Kontrast zur heutigen Marke Chanel, die für Tradition und Luxus steht und für eine eher konservative, traditionsbewusste Elite entwirft.

Warum ist dir das Thema Nachhaltigkeit so wichtig?

Ich bin sehr konsumkritisch eingestellt, obwohl mich Mode wahnsinnig fasziniert und inspiriert, habe ich doch ein ambivalentes Verhältnis dazu. Ich finde es gleichzeitig nicht ok, was da am anderen Ende der Welt passiert. Das Thema Wegwerfmode macht mich sehr betroffen und beschäftigt mich sehr. Ich will da konstruktive Alternativen aufzeigen.

Welche Alternativen könnten das sein?

Ich habe gerade ein großes Projekt für ein Modeinstitut in Arnheim, die sich mit Modetheorie und Trends auseinandersetzen, abgeschlossen. Ein Trend ist zum Beispiel die sogenannte Circular Fashion. Das ist gerade ein großes Thema im Bereich Nachhaltigkeit. Es geht darum, dass man schon vorab überlegt, wie man ein Kleidungsstück so entwerfen kann, dass es am Ende einen geschlossenen Kreislauf ergibt. Dass man nicht einfach nur ein Teil hat, was verkauft wird und man erst später überlegt, wie es recycelt werden könnte, sondern dass man sich schon ganz am Anfang damit auseinandersetzt, wie es am Ende auseinandergenommen werden kann, damit etwas Neues entstehen kann. Dafür habe ich einen Trendreport erarbeitet, um aufzuzeigen, welche neuen Entwicklungen sich in diesen Feldern gerade abzeichnen.

Muss man dann nicht die Kleidungsstücke, die verkauft werden, auch wieder einsammeln, wenn sie vom Konsumenten nicht mehr verwendet werden? Wie ist das machbar?

Das ist auf jeden Fall die Herausforderung. Es muss eine ganz neue Retail-Struktur erarbeitet werden. Es reicht eben nicht, einfach das Kleidungsstück zu verkaufen, sondern man muss sich eine Art Rückgabesystem mit einer entsprechenden Infrastruktur schaffen. Es gibt zum Beispiel Labels, die mit dem Verkauf des Produktes eine Art Rücksendeschein dem Kunden mitgeben. Der ist manchmal mit einer kleinen Geschichte des Kleidungsstückes eingenäht. Man kann ihn quasi so lange behalten, bis man das Teil nicht mehr tragen möchte und kann es dann kostenlos wieder zurücksenden und bekommt dann einen Rabatt auf neue Einkäufe.

H&M hat das anders gemacht. Die haben ja zum Beispiel überall ihre Sammelbehälter stehen, wo man alte Kleidung abgeben kann. Da gibt es also verschiedene Strategien. Bei H&M werden die eingesammelten Kleider dann leider auch nur an die großen Sammelunternehmen weiterverkauft, die diese dann oftmals nach Afrika verschiffen werden. Dort überschwemmen unsere gut gemeinten Kleiderspenden dann als Billigware die lokalen Märkte und zerstören nach und nach die lokale Modeindustrie. Da merkt man, dass einfach alles einen Einfluss aufeinander hat und wir alle miteinander verbunden sind, und das auf so komplexe, weltumspannende Weise, dass es uns fast unmöglich ist abzuschätzen, welchen Effekt unser Handeln anderswo vielleicht verursacht.

Wie kann man das verhindern?

Meine Devise lautet: Think global – act local. Dann ist man einfach näher dran am Geschehen. Wenn ich zum Beispiel Klamotten aussortiere, schaue ich, wo es aktuell in meiner Stadt lokalen Bedarf für Kleiderspenden gibt. Ob Sammelstellen für Flüchtlinge oder andere Hilfsprojekte – einfach Adressen, wo Menschen, die wirklich bedürftig sind, direkt von den Kleiderspenden profitieren. Dadurch kommt die Kleidung direkt zum Einsatz und muss nicht erst um die halbe Welt verschifft werden. Das schöne ist ja auch, dass man dann einen Bezug zu sozialen Projekten in seiner Stadt bekommt. Es entstehen plötzlich neue persönliche Verbindungen. Das finde ich wunderbar.

Was gefällt dir am Ruhrgebiet oder was gefällt dir nicht?

Ich bin in Bayern in der Nähe von Würzburg geboren. Ins Ruhrgebiet bin ich vor ca. 3,5 Jahren gezogen, weil mein Mann hier wohnte. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich hier so schnell so heimisch fühlen würde. Jetzt bin ich absoluter Essen-Fan und habe sogar schon ganz viele Leute dazu gebracht, hierher zu ziehen. Mein Vater und mein Bruder sind mittlerweile hier, meine Schwiegereltern haben wir von Karlsruhe nach Essen geholt. Es ist echt eine andere Welt hier im Ruhrgebiet – so erfrischend und ehrlich. Die Leute sind hier einfach so offen und interessiert. Ich bin jedenfalls angekommen.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?

Ich wäre eine Mischung aus Tank Girl und Buddha. Buddha ist jetzt zwar keine Comicfigur, aber er steht für mich für das Thema Achtsamkeit. Und Tank Girl fand ich immer schon richtig cool. Ich bin mit dem Film aufgewachsen. Sie ist eine moderne Rebellin und steht für mich für Stärke, Freiheitsliebe und eine rotzige Punkattitüde. Ich finde es immer interessant, mit Klischees zu spielen, sie aufzubrechen und sich dem Thema Weiblichkeit von ganz unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Schon als kleines Kind war ich genervt von diesem ganzen rosa Glitzer-Prinzessinnen-Mädchenkram. Ich bin stattdessen mit meinem Kumpel auf Bäume geklettert, habe mit unserer Kinderbande Hütten und Staudämme im Wasser gebaut und alle Jungs im Armdrücken besiegt.

Das Interview führten wir im März 2017.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.