Uli Böckmann aus Lüdenscheid
„Ich habe bis heute 37 mal den Wohnsitz gewechselt, obwohl ich nie auf der Flucht war.“
Hallo Uli, stell dich doch bitte kurz vor.
Ich bin freier Texter in der Werbung und außerdem Motorradjournalist. Ich arbeite für einige Werbeagenturen und schreibe für Motorradmagazine Reise- und Testberichte und viel über Technik, Customizing und Oldtimer. Das Motorrad lässt mich schon seit mehr als 30 Jahren nicht mehr los, in der Werbung arbeite ich seit gut 25 Jahren. 14 Jahre hatte ich mit einem Freund und Partner eine eigene Werbeagentur in Essen-Horst.
Wie kam es zum „Motorradjournalist“?
Eigentlich bin ich gelernter Jugend- und Heimerzieher. In dieser Ausbildung war ich in einer Clique von Leuten, die eine Kinder- und Jugendzeitschrift machen wollten. Wir hatten keine Ahnung vom Zeitungmachen, aber wir wollten es unbedingt. Wir versuchten, eine Förderung dafür zu erhalten, was aber nicht geklappt hat. Quasi aus Trotz habe ich dann mit zwei Freunden vom Küchentisch aus eine Motorradzeitschrift gestartet. Schon damals war ich meist auf zwei Rädern unterwegs.
So kam ich überhaupt erst darauf, dass mir das Schreiben irgendwie liegt. Ich bekam viel Zuspruch und letztlich dadurch eine Stelle als freier Autor und später als festangestellter Redakteur bei einem Motorradmagazin. Da bin ich dann irgendwann durch den Humor in meinen Texten aufgefallen, und ein Arbeitskollege sprach mich an, ob ich denn schon mal darüber nachgedacht hätte, in die Werbung zu gehen. Hatte ich nicht. Aber das hat mich dann neugierig gemacht und ich hab’ mich bei verschiedenen Agenturen als Texter beworben. Das hat auf Anhieb auch geklappt. Nach einigen Anstellungen habe ich dann meine eigene gegründet.
Und dann gab es einen Tiefschlag. Erzähl mal davon.
Damals waren wir mit unserer Werbeagentur im alten Werk Vogelsang in Steele-Horst, direkt an der Ruhr, viele kennen das auch als »Horster Mühle«. Da haben wir auch gleichzeitig gewohnt. Am 8.8.1999 ist in der Nacht ein Feuer ausgebrochen, im zweiten Stock. Wir wohnten genau darüber im Dachgeschoss und sind damals gerade noch so rausgekommen, weil unsere Katze uns weckte, die hat auf unserem Bett verrückt gespielt. Als wir wach wurden, war alles schon voller Qualm, zum Glück hatten wir einen kurzen Weg nach draußen. Und da standen wir dann und mussten dabei zusehen, wie unsere Bude abfackelt. Wir haben ordentlich Alarm gemacht und konnten durch unsere Schreierei die anderen aus dem Haus noch aufwecken, nach ein paar Minuten waren alle draußen. Als die Feuerwehr dann kam, war alles schon gegessen. Unsere Agentur war hin und von unserer Wohnung war auch nichts mehr übrig. Die Räume darunter ersoffen alle im Löschwasser.
Warum hat es gebrannt?
Hat man nie wirklich rausgefunden. Ein Brandsachverständiger hat sich alles angesehen und meinte, es könnte sein, dass das Feuer durch einen Stapel Papier entstanden ist. Papier in solchen Mengen, wie wir es in einer Ecke gelagert hatten, kann sich wohl selbst entzünden, wie wir dann erfahren haben. Es war August – es war heiß. Das wäre eine mögliche Ursache. Dann war in der Ecke noch ein großer Leuchttisch mit Leuchtstoffröhren, und die Starter dieser Röhren sind angeblich auch dafür bekannt, dass sie sich gerne mal kurzschließen.
Und wie ging es weiter?
Direkt nach dem Brand hatte ich erst mal Probleme damit, wieder auf die Füße zu kommen. Wohnung futsch, Agentur futsch, wochenlange Notunterkunft bei Freunden, wir hatten nicht mal mehr Rechner. Es entstand ein Loch von zwei, drei Monaten und in dieser Zeit waren wir uns nicht sicher, wie wir weitermachen sollen. Aber wir sind dann tatsächlich noch mal richtig durchgestartet und waren eigentlich erfolgreicher als vorher, sechs Jahre lang haben wir richtig Gas gegeben. 2005 haben wir die Agentur dann aber schließen müssen.
Wie kam es dazu?
Wir hatten schon Mitte der Neunziger gemeinsam mit einem Verlag einen Routenführer für Inline-Skater veröffentlicht, zunächst für Nordrhein-Westfalen. Damit fing quasi unser Bücher-machen an. Daraus wurden am Ende 35 Bände, sogar für Mallorca, Ibiza, die Schweiz oder Paris. So richtig los ging es aber mit einem anderen Projekt. Weil das Thema Grafik-Design in unserer Arbeit immer eine große Rolle spielte, entstand die Idee zu einem Buch, dass angehenden Designstudenten viele Fragen zur Gestaltung ihrer Bewerbungsmappe beantwortet. Die Mappe entscheidet darüber, ob man an der Uni einen Fuß in die Tür kriegt oder nicht. Damit waren die Leute seinerzeit ziemlich allein gelassen. Deshalb nannten wir unser Buch auch »Mythos Mappe« und zeigten darin die erfolgreichen Mappen von 50 Designstudenten. Das ging ab wie verrückt, es wurde uns quasi aus den Händen gerissen. Wir haben direkt weitere Bücher zu dem Thema drangehängt und auch die liefen gut. Da mittenhinein passierte der Brand.
Danach haben wir uns dann mehr um weitere Buchprojekte als um die Werbeagentur gekümmert, die Arbeit an eigenen Projekten erschien uns deutlich spannender als die für Werbekunden. Schließlich gründeten wir auch noch den eigenen Verlag, wir wollten wirklich am liebsten alles selbst machen. Haben wir dann auch.
Ausgerechnet zu einer Zeit, als wir gerade den Druck einiger Bücher vorfinanziert hatten, hat dann ein Kunde unserer Agentur seine ziemlich dicke Rechnung bei uns nicht bezahlt, das war echt kein Pappenstiel. Das Ganze landete am Ende vor Gericht, doch auch das half nicht mehr. Wir mussten Ende 2005 Insolvenz anmelden. Ich war plötzlich wieder auf Jobsuche. Und so hat es mich dann wieder in die Motorrad-Ecke verschlagen. Zurück zu den Wurzeln sozusagen.
Was verbindet dich mit dem Ruhrgebiet?
Alles. Ich bin in Wanne-Eickel geboren und aufgewachsen, gewohnt habe ich dann später noch in Bochum, Dortmund, Witten, Herne, Gelsenkirchen und Recklinghausen – man könnte auch sagen, mir ist nichts Menschliches mehr fremd. Ich hatte über viele Jahre ein ziemlich wirres und zielloses Leben, wahrscheinlich habe ich auch den einen oder anderen Nomaden im Stammbaum. Wenn ich auch solche Bleiben wie Zivildienstunterkünfte und besetzte Häuser mitrechne, komme ich jedenfalls auf ziemlich viele Adressen. Ich habe bis heute 37 mal den Wohnsitz gewechselt, obwohl ich nie auf der Flucht war. Da sind zwar auch Abstecher nach Freiburg, Stuttgart, Köln und in ein Eifeldorf dabei, aber die weitaus meisten Anschriften hatte ich im Ruhrgebiet. Das ist meine Heimat und ich fühle mich immer noch wohl hier. Vor gut einem halben Jahr habe ich mich bei Freunden in Essen-Bergerhausen in eine Motorradwerkstatt mit eingemietet. Da baue ich einerseits für mich, aber auch für den Job Motorräder um. Allein deshalb bin ich ständig wieder hier. Zurzeit lebe ich allerdings in Lüdenscheid mit meiner Partnerin und unseren beiden Kindern, meinen beiden kleinsten. Insgesamt habe ich fünf Kinder von drei Frauen.
Hattest du mal einen Motorradunfall?
Mehrere. Aber ich hab’ immer Schwein gehabt. Mein letzter Sturz war vor eineinhalb Jahren. Da bin ich mit dem Vorderrad auf Rollsplit weggeschmiert. Zum Glück war da keine Leitplanke oder irgendwas anderes, wo ich hätte einschlagen können. Zwei Rippen und der Meniskus waren hin, mehr ist nicht passiert. Das war aber das erste Mal seit etwa 25 Jahren, dass ich überhaupt wieder einen Unfall hatte. Die anderen waren alle in den Anfängen. Doch das konnte mich nicht vom Motorradfahren abbringen. Wobei ich kein Heizer bin, eher Langstreckler. Es gibt mich für keine schönere Art des Unterwegsseins, als mit dem Motorrad zu reisen. Ich bleibe im Urlaub auch nicht zwingend gerne an einem Fleck. Dieses Immer-weiter-ziehen reizt mich sehr. Wenn ich heute für eine Reisereportage mit dem Motorrad irgendwo in Europa unterwegs bin, fühlt sich das nicht jedes Mal wie Arbeit an.
Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann?
Snoopy. Auf dem Dach meiner Hütte liegen, in den Himmel gucken, dabei über das Leben nachdenken und ab und zu mit Helm und Brille abheben … – passt schon.
Das Interview führten wir im Februar 2017.
Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.