Shani aus Essen
„Der Schmerz war so groß, dass ich dachte, ich würde daran sterben.“
Hallo Shani. Stell dich bitte kurz vor.
Ich bin Shani. Das ist allerdings nicht mein richtiger Name, sondern ein Künstlername. Eigentlich heiße ich Amalia Alessandra – so nennt mich aber niemand. Die meisten wissen auch gar nicht, dass ich so heiße. Shani ist irgendwann in der Schule entstanden und mein Spitzname und den habe ich dann auch als Künstlernamen genommen.
Wo bist du geboren?
Ich bin in Essen geboren. Meine Eltern kommen aus Posen in Polen. Sie sind 1982 oder 83 nach Deutschland gekommen und direkt nach Essen gezogen. Ich bin 1985 dort auf die Welt gekommen. Meine Mutter war 18 als sie nach Deutschland ausgewandert ist – ohne ein Wort deutsch sprechen zu können. Und mit 20 hat sie mich dann bekommen. Ich habe noch eine sechs Jahre jüngere Schwester.
Was machst du beruflich?
Ich arbeite freiberuflich als Maskenbildnerin und Makeup-Artist. Das war immer mein Traumberuf – ich habe also mein Hobby zum Beruf gemacht. In der Schule wusste ich damals schon, dass ich mich für kreative Dinge interessiere. In Kunst war ich immer sehr gut im Zeichnen. Mit 14 hab ich mir immer schon die Vogue geholt. Mich hat diese Makeup-Welt sehr interessiert. Da wusste ich schon, dass ich nicht studieren werde und habe dann Makeup-Artist gelernt.
Wo hast du das gelernt?
Ich habe an einer Privatschule in Essen gelernt, möchte aber den Namen nicht nennen, da ich super unzufrieden mit der Schule war. Sie war teuer und schlecht. Ich möchte niemandem einen schlechten Ruf verschaffen, aber ich habe mich danach nicht so gefühlt, als ob ich für meine Arbeit Geld verlangen könnte. Ich habe da kaum etwas gelernt.
Dann habe ich einen Praktikumsplatz bei RTL bei „Alles was zählt“ bekommen und dort angefangen, im Bereich Kostüm und Styling zu arbeiten. Da habe ich aber gemerkt, dass ich lieber als Makeup-Artist arbeiten möchte. Und durch Zufall hab ich bei einer Studentenproduktion eine Maskenbildnerin kennengelernt, die schon ziemlich erfolgreich war. Mit ihr habe ich darüber gesprochen und durfte dann bei ihr ein Praktikum bei einer Filmproduktion machen. Sie kam aus Dortmund und ich durfte ihr bei der Arbeit über die Schulter gucken, durfte mit ans Set, bei den Schauspielern mit dabei sein und habe dann irgendwann Nebenrollen bekommen, die ich dann fertig machen durfte, und dabei habe ich alles Step by Step gelernt.
Ich habe wirklich bei Null angefangen. Es war ein sehr langer Weg. Ich kannte niemanden und wusste überhaupt nicht, wie ich mich verkaufen sollte. Ich war am Anfang sehr unsicher, weil ich nicht alles konnte. Ich musste mir vieles selbst beibringen.
Gibt es besondere Menschen, die du mal gestylt hast – irgendwelche Stars?
Olivia Palermo habe ich mal stylen dürfen. Und Nora Tschirner und Julian Draxler. Außerdem habe ich Danny Trejo, der in dem Film „Machete“ spielt, mal für einen Werbespot schminken dürfen. Das war ne große Nummer. Jürgen Klopp und Mats Hummels habe ich auch schon für einen Opel-Werbespot geschminkt. Jürgen Klopp war super sympathisch und sehr lustig und total nett und Mats Hummels war auch sehr sympathisch. Die meisten Kunden sind mir gegenüber sehr nett. Kim Gloss habe ich auch schon öfter geschminkt. Und mit Monica Ivancan war ich vor einigen Jahren für ne Woche in Hamburg für den Dreh der Sendung „Das Model und der Freak“. Das war supercool. Und viele YouTuber habe ich auch schon geschminkt: Dagi Bee, Diana zur Löwen und Die Lochis. Mir fallen so viele ein … Mit Mike Singer arbeite ich auch öfter und gerne zusammen. Janine Kunze habe ich auch schon geschminkt.
Das heißt, du reist auch viel und übernachtest in Hotels?
Ja. Die Kosten übernehmen dann die Produktionsfirmen.
Hast du irgendwelche Hobbies?
Ja. Ich reise sehr gerne. Jetzt im Moment geht das ja wegen der Corona-Pandemie leider nicht ganz gut. Aber sonst versuche ich so oft es geht hier wegzukommen und zu reisen. Ich war in Amerika, auf Kuba, in Barcelona bin ich sehr oft, in Andalusien und kürzlich war ich in Marrakesch – da war es ganz toll. Meistens reise ich mit einer Freundin zusammen. Alleine habe ich noch nie Urlaub gemacht.
Wo hat es dir besonders gut gefallen?
Kuba fand ich toll – die sind da irgendwie 50 Jahre zurück. Dort wird ein ganz anderes Leben geführt als hier und es herrscht sehr viel Armut. Die Menschen dort kommen einem dennoch glücklich vor. Ich habe dort Einheimische kennengelernt, die mich nach Hause eingeladen haben. Ich habe gesehen, wie sie leben und teilweise nach dem Toilettengang mit einem Eimer Wasser nachgießen mussten. Das, was hier selbstverständlich ist, gibt es dort nicht überall. Teilweise noch nicht mal einen Fußboden im Zuhause. Es war sehr interessant zu sehen, wie die Menschen dort leben.
Ich war vor drei Jahren dort. Havanna war sehr voll mit Touristen. Meine Freundin und ich haben aber Orte besucht, die andere Touristen nicht besucht haben. Die Leute haben uns zugewinkt, weil wir dort so aufgefallen sind. Wobei wir normal gekleidet waren mit kurzer Jeans und Top. Eine Mitarbeiterin in unserem Hotel hat mich gefragt, ob sie mir meine H&M-Handtasche abkaufen kann, weil sie ihr so gut gefallen hat und es sowas dort nicht zu kaufen gibt. Am Ende des Urlaubs habe ich ihr die Tasche geschenkt.
Bist du Single?
Ja. Ich hatte leider sehr viel Pech. Ich hatte eine ganz schlimme Beziehung, in der mir mein Herz gebrochen wurde. Da war ich Anfang 20 und sehr naiv und gutgläubig. Heute würde ich das nicht mehr mit mir machen lassen. Ich habe mich irgendwie „unter Wert verkauft“, weil mir damals noch nicht bewusst war, welchen Wert ich habe. Ich wurde sehr schlimm betrogen und wusste davon nichts.
Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe angefangen, meine ganze Trauer, meinen Frust und die ganze negative Energie, die in mir war, in meinen Job zu packen und in positive Energie umzuwandeln. Das war auch der Zeitpunkt, an dem ich jobmäßig erfolgreich geworden bin. Es hatte also auch was Gutes.
Und danach hattest du keine nennenswerte Beziehung mehr?
Nein. Ich bin glaub ich zu hart oder zu streng. Wenn du so eine schlimme negative Erfahrung gemacht hast und dein Vertrauen so missbraucht worden ist, hast du Angst, wieder so verletzt zu werden. Und das möchte ich nicht. Ich habe mich sehr verschlossen und in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, dass auch das nicht der richtige Weg ist. Andere Männer können schließlich nichts dafür, dass ich verletzt wurde, und es ist auch unfair mir selbst gegenüber, mich so zu verschließen und für immer alleine zu bleiben. Das muss ich ändern.
Bist du ein offener Mensch oder generell eher verschlossen?
Ich war schon als Kind sehr introvertiert und schüchtern. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass wir, als ich ungefähr zwei Jahre alt war, in ein Wartezimmer gekommen sind und ich mir die Hand vor die Augen gehalten habe. Als sie mich daraufhin fragte, warum ich das tue, habe ich gesagt „Damit mich niemand sehen kann.“ – ich war also schon damals sehr schüchtern und ruhig. Warum weiß ich allerdings auch nicht. Ich bin heute aber durch meinen Job ein sehr offener Mensch!
Aber schüchtern sein und sich sofort nach der Schule selbstständig zu machen ist ja schon eher ein Gegensatz …
Ja. Heute würde ich sagen, das war super mutig. Damals war mir gar nicht so richtig klar, worauf ich mich da eigentlich einlasse. Ich dachte „Heute geh ich zum Rathaus, hol mir für 20 Euro einen Gewerbeschein und dann bin ich erfolgreich.“ Ich hab gar nicht gesehen, wie schwierig es überhaupt ist, an einen Auftrag zu kommen.
Was hat dich in deinem Leben besonders geprägt?
Meine Mutter war in der Ehe mit meinem Vater länger – und mit länger meine ich jahrelang – unzufrieden. Sie wollte sich trennen, was ich auch verstehen konnte. Mein Vater hat sie nicht gut behandelt und als selbstverständlich gesehen. Diese Trennung konnte mein Vater aber nicht akzeptieren.
Hat er es denn irgendwann eingesehen?
Er hat geäußert, dass er ein bisschen Abstand und eine Pause braucht und hat begonnen, seinen Koffer zu packen. Er wollte nach Polen fahren. Ich hab gefragt: „Was willst du denn da?“ „Ich brauche ein bisschen Abstand und will mir alles nochmal durch den Kopf gehen lassen.“ Das klang für mich vernünftig und ich dachte, es würde ihm gut tun, ein paar Tage wegzufahren. Er hat sich von uns verabschiedet.
Spät abends habe ich ihm noch geschrieben und gefragt, wo genau er nun sei. Er hat das gelesen, aber nicht mehr geantwortet. Dann habe ich später noch mal ein Fragezeichen geschickt, was er wieder ignoriert hat. Dann bin ich wütend geworden, weil ich dachte er sei stur. Ich wollte Kontakt halten und er verhält sich so kindisch. Ich habe noch überlegt, anzurufen, aber ich war so wütend auf ihn, weil er uns die ganze Woche so fertig gemacht hat, dass ich das auf den nächsten Tag nach Feierabend verschoben habe.
Am nächsten Tag hatte ich dann eine Brautprobe und hatte dabei schon so ein ganz komisches Gefühl, weil er sich nicht mehr gemeldet hat und dachte: Irgendwas stimmt nicht. Als ich auf dem Nachhauseweg war, hat meine Mutter mich angerufen und gebeten zu ihr zu kommen. Ich hab gefragt, was denn los sei und sie hat aufgelegt. Und ich dachte: Komisch – ist nicht ihre Art und ich war unruhig. Ich bin dann zu ihr gefahren und als sie die Tür geöffnet hat, habe ich schon im Treppenhaus gesehen, dass sie komplett verheult war. Sie konnte gar nicht sprechen und ihre Nachbarin stand bei ihr und ich dachte: Oh nein! Ich habe nur gefragt: „Ist er am Leben oder nicht?“ – nur diesen Satz – und sie sagte: „Nein.“
Mir schoss in den Kopf, dass er vielleicht was geschrieben hat, was aber nicht stimmte. „Woher weißt du, dass er nicht lebt? Woher weißt du das?“ Meine Mutter konnte erst nicht antworten, sagte aber dann, dass sie ihn gefunden hat und er sich in der Lagerhalle aufgehängt hat.
Während ich zu der Brautprobe gefahren bin mit dem mulmigen Gefühl im Bauch, ist meine Mutter mit zwei Kunden zur Lagerhalle gefahren, um ihnen Möbel zu verkaufen. Die sind dann dort rein und er hing da schon.
Ich glaube, das war Rachsucht, weil er es nicht akzeptiert hat, dass meine Mutter nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte.
Wie war die Zeit danach für dich?
Erstmal: Schock! Ich habe das gar nicht realisiert. Meine Mutter hat geweint und ich habe überhaupt nicht reagiert. Ich wusste nicht, was los war und hab gedacht, dass das alles ein Traum wäre. Ich kann das gar nicht beschreiben. Das Gefühl kam erst ein paar Tage später bei mir an. Meine Welt ist komplett zusammengebrochen. Man kann das niemandem, der das nicht durchgemacht hat, beschreiben. Da gibt es kein Wort für. Mein Vater hat mir damit mein Herz gebrochen. Der wichtigste Mann in meinem Leben hat mich verlassen. Man fällt in ein Loch und der Schmerz war so groß, dass ich dachte, ich würde an diesem Schmerz sterben. Ich dachte, ich schaffe das nicht. Wenn mir jemand sagt „Ich habe ein gebrochenes Herz oder ich hab Liebeskummer“, der weiß nicht, was ein gebrochenes Herz wirklich ist. Ich habe gedacht, ich sterbe daran.
Hast du dir Hilfe geholt?
Ja sofort, Ich habe einen sehr starken und sehr, sehr tollen Freundeskreis und die haben sich um alles gekümmert. Wir waren zu nichts in der Lage. Die sind jeden Tag gekommen, haben gekocht, eingekauft und sich um uns gekümmert – unser Haus war jeden Tag voll. Meine Freundin hat ihre Schwester angerufen, die eine Psychologin kannte und da habe ich nach einer Woche schon einen Termin bekommen. Und ich bin bis heute noch bei ihr. Es klingt jetzt doof auf diesem Wege, aber ich bin froh, dass ich sie habe. Sobald ich merke, dass es mir schlechter geht und ich drohe, erneut in das Loch zu fallen, kann ich sofort zu ihr kommen.
Wie geht es deiner Mutter jetzt?
Meine Mutter hat zum Glück einen neuen Partner, der sie auf Händen trägt und ein sehr gutes Herz hat. Ich freue mich total für meine Mutter. Er gibt ihr Halt und weiß auch über das alles Bescheid. Ich bin froh, dass sie ihn hat – ich weiß nicht, in welchem Zustand sie sonst wäre.
Meine Mutter ist sehr stark, aber auch vor drei, vier Tagen noch hatten wir wieder ein Gespräch über meinen Vater. Sie sagte: „Er hat mich schon so lange so schlecht behandelt – die ganze Ehe lang – und war so schlecht zu mir und am Ende bestraft er mich noch mit diesem Anblick.“ Er hatte geplant, dass sie ihn dort findet. Sie hat sich wochenlang Schuldgefühle gemacht, aber es ist nicht ihre Schuld!
Sie redet noch oft von ihm und vermisst ihn auch als Menschen. Er war ein sehr schlechter Ehemann, aber ein sehr guter Vater. Und sehr beliebt im Familien- und Freundeskreis. Er war immer super lustig, hat jeden verarscht und ich hab immer gesagt: „Papa, du bist eigentlich noch ein kleines Kind im Kopf!“.
Aber diese andere Seite, hat er vorher nie gezeigt. Ich vermute aber, dass die schon länger in ihm war. Du gehst ja nicht einfach hin und nimmst dir einfach so dein Leben. Das muss schon länger in ihm gewesen sein. Erst als meine Mutter die Trennung wollte, hat er sich zurückgezogen und von allem isoliert, sodass seine Freunde mich anriefen, um zu fragen, warum er nicht auf Anrufe und Nachrichten reagiert. Ich sollte ihn dann immer darauf ansprechen, aber dachte, dass er mal erwachsen werden soll und dazu stehen soll, dass er scheiße in der Ehe war. Und nicht einen auf stur oder beleidigt machen und sich von allem und jedem isolieren. Ich habe zu dem Zeitpunkt nicht verstanden, warum er sich so verhalten hat und wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich, dass das der Beginn einer Depression war.
Vielen Dank für deine offene Geschichte!
Gerne. Ich fand es an der Zeit, über all das, was geschehen ist, zu reden.
Warum lebst du im Ruhrgebiet? Was magst du und was nicht?
Ich komme aus Essen-Katernberg und bin dort aufgewachsen, hatte meine ganzen Freundinnen dort und hatte eine super Zeit. Das ist für mich zu Hause und das mag ich, auch wenn es nicht so schön ist.
Was ich nicht mag am Ruhrgebiet: Es gibt auch viele hässliche Ecken.
Den Essener Süden find ich allerdings sehr schön und ich mag den Baldeney-See.
Ich arbeite viel in Köln und Düsseldorf. Düsseldorf finde ich auch schöner als Essen, aber die Leute dort mag ich nicht so gerne. Die Menschen im Ruhrgebiet mag ich sehr – die sind so ehrlich. Viele in Düsseldorf sind sehr hochnäsig und hier sind die Menschen so wie sie eben sind. Irgendwie echter als woanders.
Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du?
Ich glaub, ich wäre Goofy. Ich bin sehr verpeilt und sehr tollpatschig und wundere mich selbst, dass ich noch nie einer Kundin mit Mascara die Augen ausgestochen hab. Ich hab schon einen Blitz am Set auf den Kopf gekriegt, bin vor 50 Mann über ein Kabel gestolpert und voll auf den Bauch gefallen. Hose kaputt – mit dem Stielkamm in der Hand. Aber alles gut. :-)
Das Interview führten wir im Juli 2020.
Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.