Martin Maschka, 41, aus Hattingen
„Ich hätte voll abrutschen können, aber die Natur hat mich gerettet.“
Stell dich bitte kurz vor.
Ich bin Martin Maschka von der Wildnisschule Ruhr. Ich bin leidenschaftlicher Naturliebhaber, schon von Kindestagen an. Ich bin gerne in der Wildnis, in der Natur, lerne von ihr – und ich versuche, das, was ich dort draußen erlebe und gelernt habe, an andere Menschen weiterzugeben.
Was bedeutet Wildnis für dich?
Wildnis bedeutet für mich, zurück zum Ursprung zu kommen. Wieder zu wissen, was es in der Natur gibt, was man essen kann, was man für seine Gesundheit nutzen kann. Wir kommen aus der Natur und wir werden irgendwann wieder Natur. Unser Lebensrhythmus ist komplett darauf ausgerichtet, aber wir verlieren in der heutigen Gesellschaft den Bezug dazu. Und diesen Bezug versuche ich für mich und für alle anderen Menschen, die uns begleiten, wieder zurückzuspiegeln.
Du bist auch ein Pilzcoach …
Ja, genau. Ich bin Pilzcoach der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. Das ist ein Lehrer, der dir beibringt, die Pilze zu lieben, zu schätzen und von ihnen zu lernen. Viele wissen gar nicht, was Pilze für uns sind, dabei gibt es eine so große Bandbreite. Wir können mit ihnen basteln, Kleidung, Medizin und Heilmittel herstellen und leckere, köstliche Gerichte kochen. Wir tragen Pilze auf der Haut, im Mund, im Darm. Sie unterstützen uns, sie leben sogar mit uns in Symbiose und schützen uns vor Bakterien.
Wann kam deine Faszination für Pilze?
Als Kind habe ich Pilze gehasst, das ist auch ganz normal. Ich bin damals mit meinen Großeltern, Eltern, der ganzen Familie sammeln gegangen. Die Begeisterung kam aber erst so mit 17, 18, als ich einen Fernsehbeitrag gesehen habe, was Pilze eigentlich können. Und da war ich baff. Dass Pilze dich heilen können, das Immunsystem stärken, dass sie quasi die Kommunikation zwischen Bäumen und Tieren sind.
Pilze können kommunizieren?
Es gibt viele Untersuchungen und Studien dazu, ich selbst merke es auch. Früher hat man immer gesagt: „Pilze sind parasitisch, die töten den Baum, sie sind aggressiv.“ Aber das stimmt nicht, die sind Sterbebegleiter. Wenn ein Baum eine Wunde hat, stirbt er nicht unbedingt. Und dann kann der Pilz ihm auch nichts. Das kann 20, 30 Jahre so gehen und irgendwann, wenn der Baum doch stirbt, wird er besiedelt von verschiedenen Pilzen, die aus dem Holz Erde machen. Diese Erde wird wiederum an die Jungbäume verteilt.
Und Pilze können auch heilen?
Ja, absolut. Das wussten schon unsere Vorfahren. Der Steinzeitmensch Ötzi hatte einen Birkenporling bei sich. Nicht zum Feuer machen, wie die Wissenschaftler anfangs dachten, sondern als Wurmmittel, Antibiotikum und Schmerzmittel. Wenn du eine Schnittwunde hast und nimmst Birkenporling, das wirkt wie ein natürliches Pflaster, welches die Bakterien abtötet. Und irgendwann hat ein Arzt durch einen Zufall Penicillin entdeckt, weil er die Proben vergessen hat und festgestellt hat: „Mist, die sind alle verschimmelt.“ Aber dann hat er geschnallt: „Aha, dieser Schimmel hat alle Bakterien getötet!“ Und diese Erkenntnis hat bis heute Millionen von Menschen das Leben gerettet.
Wie läuft so ein Pilz-Seminar bei dir ab?
Bei mir geht’s nicht darum, wahllos den Wäschekorb mit möglichst vielen Pilze zu füllen. Es geht darum, zu verstehen. Welche sind essbar, welche sind heilsam, was kannst du daraus machen. Aber auch: Welche Speisepilze gibt es? Was kann ich lernen, bauen, basteln? Die Menschen lernen bei mir, achtsam damit umzugehen: „Heute nehm ich mal den, nächste Woche den nächsten.“ Wir richten gar keinen Schaden an, wenn wir das tun, das ist immer noch so in den Köpfen der Menschen. Aber wir verteilen die Sporen. Die größte Bedrohung für Pilze ist der Klimawandel, die Landwirtschaft und unsere Konsumgier, die Raubbau an den Lebensräumen der Pilze trägt.
Hast du einen Lieblingspilz?
Ja den habe ich, aber nicht den einen. Im Frühling sind’s die Morcheln. Im Sommer der Schwefelporling, „Chicken of the Wood“, der schmeckt wie Hähnchenschnitzel. Dann kommt die Krause Glucke, die sieht aus wie ein riesiger Schwamm und schmeckt sehr lecker in der Suppe. Und dann gibt es noch den Klapperschwamm, der schon vom Weiten nach süßem, geräuchertem Speck riecht. Im Winter sind es dann die Winterpilze, mit vielen Vitaminen und Mineralstoffen.
Warum hast du die Wildnisschule Ruhr damals gegründet?
Meine Mutter hatte Krebs, da war ich noch sehr jung und mein Vater hatte natürlich Angst um sie. Er ist durchgedreht, was ich abbekommen habe, auch Schläge. Als sie dann gestorben ist, bin ich immer wieder abgehauen, mit 13, 14, 15, in den Wald. Irgendwann bin ich zurück nach Polen, meinen Geburtsort und habe gelernt, von der Natur zu leben. Ich habe nachgedacht: „Was willst du jetzt werden?“ Die Natur tat mir gut und konnte mich von meinen Problemen ablenken. Das wollte ich auch anderen näher bringen.
Ich habe meine Ausbildung als Wildnispädagoge in den Masuren gemacht und habe dafür ein Jahr lang in den Sumpfgebieten gelebt und von einem Wildnispädagogen lernen dürfen, wie die sibirischen Indogenvölkerstämme gelebt haben. Daher auch die Pilze. Mit gerade einmal 16 Jahren beschloss ich, ich gründe eine Wildnisschule und durfte das auf einem Gelände in Hattingen machen.
Gab es Leute, die dir geholfen haben?
Ja. Eine Familie aus Sprockhövel hat mitbekommen, wie ich lebe. Die haben gesagt: „Pack deine Sachen, du wohnst jetzt bei uns.“ Mit den beiden Söhnen bin ich heute noch befreundet. Und ich wollte damals nicht vom Jugendamt vermittelt werden, weil das Jugendamt auch nichts von den Vorfällen mit meinem Papa wusste. Er war Alkoholiker, er lag dann auch stockbesoffen in Parks bei uns rum. Jeder kannte meinen Namen und ich wurde deshalb auch gemobbt.
Und deine Familie?
Meine Oma wohnte damals noch in Polen, in Katowice, aber zu dem Zeitpunkt wollte ich sie auch nicht belasten. Mit meinen Onkeln war der Kontakt mal so, mal so, aber normalerweise kam dann auch direkt die Polizei. Mein älterer Bruder ist schon vorher abgehauen und wir hatten keinen Kontakt. Irgendwann hat er mich gefunden, weil er gehört hatte, dass ich die Wildnisschule habe. Bis heute haben wir einen sehr guten Kontakt. Wir wohnen auch beide relativ nah beieinander und gehen zusammen angeln. Ich habe es aber dann auch geschafft, meine eigene Familie zu gründen.
Du warst mal Erzieher, wieso hast du dich jetzt komplett selbstständig gemacht?
Genau, ich habe eine Ausbildung zum Erzieher gemacht und diesen Job jetzt tatsächlich hingeschmissen und mich von der „alten Pädagogik“ verabschiedet. Ich wollte den Kindern wirklich was beibringen, aber wenn das Team nicht hinter dir steht, kannst du nichts machen. Also halte ich jetzt Vorträge für Tageseltern und Erzieher, die richtig gut laufen. Ich habe das moderne Wissen, meine Erfahrungen aus der Kindheit. Wissen haben viele, aber wie man es verkauft, ist wichtig.
Deshalb auch deine Auftritte auf Social Media?
Genau, ich finde, man muss echt sein. Ich lache so gerne und mag es, andere Leute zum Lachen zu bringen. Bei Exkursionen versuche ich, alles so spaßig wie möglich beizubringen, damit es hängen bleibt. Genauso auch auf Social Media. Viele haben mich kritisiert, weil sie mich zu albern fanden. Aber das ist ihre eigene Unzufriedenheit. Viele sind unterwegs und füttern den ganzen Tag nur ihre schlechte Laune und wollen sie rauslassen.
Letztens war ich angeln und da kommt eine Dame, schmeißt ihre Kippe auf den Boden und meckert mich an: „Hier ist Angeln verboten! Ihr Fischmörder!“ Ich sage: „Essen Sie Fisch?“ – „Ja, Fischstäbchen. Was geht dich das an?“ – „Ich fange meinen Fisch selber. Wenn Sie Fischstäbchen essen, werden beim Beifang viele andere Tiere getötet. Also sagen Sie nicht, ich sei ein Mörder.“ Ich will niemanden verantworten, ich esse auch Fischstäbchen. Aber dann braucht man mich nicht angehen, wenn ich angele. Ich habe mit ihr sogar noch in Ruhe geredet, ihr meinen Angelschein gezeigt. Ihr erklärt, was ihre Zigarettenstummel so anrichten können in Gewässern. Das wusste sie gar nicht und hat mir am Ende noch einen guten Fang gewünscht. Ich war in dem Moment wahrscheinlich nur ihr Frustballon.
Gibt es einen Lieblingsort für dich im Ruhrgebiet?
Das Ruhrgebiet hat so viele Möglichkeiten, es hat sich komplett verändert. Ich finde dieses Urban Green total toll, Bepflanzung von Dächern zum Beispiel. Oder Renaturierung von Flüssen. Damit tut man viel Gutes. Das Ruhrgebiet hat so viel Potenzial. Unsere Vorfahren waren alle Arbeiter und wir haben gelernt, aus dieser Lebenssituation was zu machen und wir haben alles wieder grün gemacht. Es leben wieder Uhus, mitten in der Stadt. Das können sich Menschen von außerhalb manchmal gar nicht vorstellen.
Mich begeistern natürlich die Wälder hier, aber auch die Brachflächen. Wenn man dann nichts hört außer die Vögel, das ist wunderbar. Aber mein Lieblingsort ist natürlich meine Wildnisschule. Die ist direkt am Waldrand gelegen mit Teichen, die Frösche quaken, die Insekten zirpen.
Hast du auch schon mal eine gefährliche Situation im Wald erlebt?
Oh ja, zu Corona-Zeiten war ich Pilze sammeln und auf einmal riecht’s nach Maggi. Und wenn du Maggi riechst, ist die Gefahr ganz nah. Da kam schon die Bache auf mich zu gerannt. Die Frischlinge waren noch so jung, die kamen gar nicht hinterher. Neben mir stand eine Buche und ich bin drumherum, die Bache dagegen. Sie wollte nochmal versuchen, mich zu treffen, aber ich habe ein bisschen mit ihr um den Baum „getanzt“. Nach ein paar Sekunden hat sie dann aufgegeben und ist abgehauen. Meine Steinpilze lagen überall verteilt. Ich habe ein paar von ihnen eingesammelt, den Rest ihr überlassen und bin dann weg.
Hast du denn was dabei, wenn du in den Wald gehst?
Nichts. Kein Wasser, keinen Rucksack. Wenn ich Durst habe, esse ich Blätter. Fast alle Baumblätter kann man essen und dann hast du deinen Wasserhaushalt wieder drin. Man merkt auch schnell, wenn Blätter giftig sind. Alles was bitter schmeckt, säuerlich oder anfängt zu brennen, ist eine Warnung der Natur.
Wenn dein Leben ein Comic wäre – wer wärst du?
Ich würde mich als Miraculix bezeichnen. Ich experimentiere und versuche, „Zaubertränke“ zu brauen. Ich erforsche die Pilze und unterstütze z. B. krebskranke Freunde. Ich sage natürlich nie „Du wirst gesund!”, sondern „Probier es mal aus, es kann dir helfen.“ Und bis jetzt war es immer so.
Und wenn du ein Pilz wärst?
Dann wäre ich ein Klapperschwamm. Der riecht so wunderbar nach geräuchertem Speck und ich räuchere wirklich gerne, Kräuter, Gemüse, Fisch. Aus Gemüse mache ich richtig tolle Barbecue-Gewürze selber, das kann man nicht kaufen. Das riecht so affengeil.
