Maresa Kallmeier aus Marl

„Nur, wenn Diskriminierungen offengelegt und thematisiert werden, kann sich etwas verändern.“

Hallo Maresa, stell dich doch bitte kurz vor.

Ich bin Maresa Kallmeier, 34 Jahre alt, in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen und wohne jetzt in Marl. Ich arbeite seit zehn Jahren bei der Stadt Herten, erst fünf Jahre als Sozialarbeiterin beim Jugendamt und jetzt seit fünf Jahren als Gleichstellungsbeauftragte. Ich habe Soziale Arbeit studiert. Privat bin ich schon immer politisch, vor allem gesellschaftspolitisch engagiert.

Inwiefern engagierst du dich?

Ich mache zum Beispiel seit einigen Jahren Foodsharing und engagiere mich politisch in einer Partei, der SPD.

Wie sieht deine Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte aus?

Ich verstehe mich als eine Art Impulsgeberin zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Ich berate die Dienststelle, also den Bürgermeister, Führungskräfte, Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte und die Politik, wie die Gleichstellungsgesetze in einer Kommune angewendet werden sollten. Es geht viel um Antidiskriminierung und Chancengleichheit. Meine Aufgaben sind da vielseitig. Zum Beispiel begleite ich auch Personalauswahlverfahren.

Gibt es ein Thema, welches dir da besonders am Herzen liegt?

Wir erfahren durch die rechtsgerichteten, sehr konservativen Parteien eine Art Roll Back in Sachen Gleichstellung. Es ist zwar alles im Grundgesetz verankert, trotzdem gibt es da noch viele strukturelle Nachteile – vor allem für Frauen. Die regierenden, demokratischen Parteien verkennen bei manchen Themen, dass es nötig ist, dem noch ambitioniertere Maßnahmen als bisher entgegenzusetzen. Nur so kann der Roll Back aufgehalten und eine bessere Gesellschaft für alle erzielt werden. Dass Gleichstellung gut für unsere Gesellschaft ist und den Zusammenhalt stärkt, darin stimmen viele überein.

Ich arbeite daran mit, dass sich Strukturen ändern. Dass sich die Menschen nicht von irgendwelchen Stereotypen leiten lassen, sondern ihr Leben selbstbestimmt leben. Das ist das, woraus ich Kraft ziehe. Menschen dabei helfen, ihren Weg zu gehen.

Hast du selbst schon die Erfahrung gemacht, dass du aufgrund deines Geschlechts diskriminiert worden bist?

Dass ich ein bestimmtes Verhalten mir gegenüber so empfunden habe, auf jeden Fall. Sich diskriminiert fühlen ist ja zunächst etwas Subjektives. Man kann es auch erst mal mit „ungerecht behandelt fühlen“ übersetzen. Ob dann tatsächlich eine Diskriminierung gemäß Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz vorliegt, da muss man rechtlich gesehen andere Kriterien anlegen. Zum Beispiel gibt es diskriminierende Fragen in Vorstellungsgesprächen. Fragen nach dem Familienstand, der Familienplanung, oder ob man eine Betreuung für seine Kinder hat, haben im Vorstellungsgespräch nichts zu suchen. Da ist der Grund, warum man diese Frage stellt, erstmal egal. Da macht das Gesetz keinen Unterschied. Aus Gesprächen mit Frauen weiß ich, dass das in der Realität leider noch oft passiert. Ich thematisiere das regelmäßig, wenn ich selbst solche Situationen mitbekomme.

Was hast du in der Zeit als Gleichstellungsbeauftragte schon erreicht oder was sind deine Ziele?

Ich habe schon viele Veränderungen in der Zeit miterlebt. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Bei uns in der Stadtverwaltung in Herten gibt es aktuell 57 Prozent Frauen in Führungspositionen. Ich nehme auch wahr, dass das in anderen Kommunen nicht so ist. Da sind wir schon sehr fortschrittlich und ich denke, dass die vielen Frauen in Führungspositionen ein großer Motor dafür sind, dass wir ein innovativer Konzern sind. Ich freue mich über jede, die den Karrieresprung in dieser Zeit geschafft hat. Viele habe ich auf dem Weg dorthin unterstützt.

Was ich mir noch wünschen würde, wären mehr Frauen in der Verwaltungsspitze. Die ist in Herten komplett männlich besetzt. Das sind die wichtigen Posten, wo Entscheidungen getroffen werden. Über die Wahl der Beigeordneten entscheidet der Rat. Ich habe in der Zeit, in der ich Gleichstellungsbeauftragte bin, zwei Wahlen miterlebt. Beide Male waren geeignete Frauen im Rennen.

Wenn du von einem Fall von Diskriminierung erfährst, kannst du diesen dann auch zur Anzeige bringen?

Das ist ein wichtiger Punkt! Wenn gegen die Gleichstellungsgesetze verstoßen wird, zum Beispiel gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durch diskriminierendes Verhalten wie Belästigung und es wird ein feindliches Umfeld geschaffen, dann muss das Opfer selbst eine Anzeige stellen. Ich kann nicht stellvertretend für das Opfer Anklage erheben. Ich kann beraten, ich kann Mut machen, Hilfestellung geben und ich kann Trost spenden. Ich habe da so eine Lotsinnen-Funktion. Das ist auch wichtig. Aber nur, wenn Diskriminierungen offengelegt und bei erhärtetem Verdacht auch zur Anzeige gebracht werden, kann sich etwas verändern.

Du engagierst dich für Foodsharing. Was ist das genau?

Es geht darum, Lebensmittel zu retten, die noch essbar sind, aber aus diversen Gründen trotzdem aussortiert werden und in der Tonne landen. Wir geben von Privatperson an andere Privatpersonen diese Lebensmittel weiter. Es ist eine Ergänzung zu den Tafeln, die ja auch einen ähnlichen Gedanken haben, aber sich eben nur an Bedürftige richten. Foodsharing richtet sich an alle Menschen und der Umweltgedanke steht im Vordergrund.

Es gibt mittlerweile Supermärkte, die sehr fortschrittlich denken und Verteilerstellen in den Märkten eingerichtet haben, um diese Lebensmittel zu verschenken. Das wäre ideal, wenn das alle Supermärkte machen würden und Foodsharing überflüssig wird.

Was ist das Ziel deiner Aktivitäten?

Wenn ich für Foodsharing unterwegs bin, treffe ich die unterschiedlichsten Menschen. Sowohl unter den Foodsavern als auch unter den Abholerinnen und Abholern. Was wir alle zum Ziel haben, ist, einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen zu leben und zu verbreiten. Auch da gebe ich Impulse und versuche, den Gedanken weiterzutragen, um mehr Menschen zu sensibilisieren, wieviel wir eigentlich tagtäglich so wegschmeißen.

235 Euro kostet der durchschnittliche Warenumsatz an Lebensmitteln, den wir pro Bundesbürgerin und Bundesbürger im Jahr wegschmeißen. Ich glaube, dass das vielen nicht bewusst ist. In unserer Überflussgesellschaft wird man ja ständig mit übervollen Regalen konfrontiert und denkt im Alltag oft gar nicht darüber nach. Alles ist verfügbar, 24 Stunden, jetzt auch noch mit Lieferdienst … und dem versuchen wir, etwas entgegenzusetzen und zeigen Alternativen auf.

Wie genau läuft foodsharing ab?

Das ganze System funktioniert über eine Plattform (www.foodsharing.de), die ehrenamtlich betreut wird. Mit einem Wiki-System, in das sich alle, die mitmachen wollen, einlesen können. Dann folgt noch ein Quiz und man muss mit erfahrenen Abholerinnen und Abholern drei Probeabholungen tätigen. Wenn man diese Schritte durchlaufen hat, ist man verifiziert, um auch selbst Lebensmittel abzuholen und an bestimmten Orten weiterzugeben. Diese Orte nennen sich Fair-Teiler. Wir haben beispielsweise in Marl einen Fair-Teiler an einem Jugendzentrum der Falken eingerichtet und kooperieren in Sachen Foodsharing miteinander. Der Fair-Teiler besteht aus einem Unterstand, einem Regal und Kisten. Als ich die damalige Leiterin angefragt habe, hatten sie gerade ihr Projektjahr zum Thema Nachhaltigkeit. Das hat natürlich super gepasst und so haben wir da die Fair-Teiler-Station eingerichtet. Die Leiterin des Jugendzentrums ist mittlerweile auch Foodsharing-Botschafterin und hilft bei der Koordination unserer Initiative.

Die Fair-Teiler sind, je nach Standort, in der Regel die ganze Zeit frei zugänglich. Oft gibt es auch einen Kühlschrank, aber dann sind die Hygienevorschriften noch strenger.

Kann man auch als Privatperson etwas in den Fair-Teiler bringen, um es zu spenden?

Ja! Es gibt jedoch Regeln dafür. Zum Beispiel darf es kein Alkohol sein, keine Kühlware, wenn kein Kühlschrank da ist, und es muss natürlich noch genießbar sein. Wenn etwas zubereitet ist, muss es gekennzeichnet sein, was es genau enthält. Es darf nichts mit Sahne oder Mayonnaise zubereitet werden. Rohes Fleisch ist auch verboten. Auch wenn es einen Kühlschrank gibt.

Was magst du am Ruhrgebiet und was nicht?

Ich mag, dass die Menschen hier das Herz auf der Zunge tragen. Ich habe mal in Münster gewohnt und studiert. Da ist eine ganz andere Mentalität, mit der ich nicht gut zurechtkam. Ich habe nach zwei Jahren den Weg wieder zurück ins Ruhrgebiet gesucht. Diese Ehrlichkeit und dieses Geradeheraus-Sein – das macht uns aus und ist identitätsstiftend für unsere Region. Die Vielfalt im Ruhrgebiet mag ich auch sehr. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft und darin sehe ich Chancen und Potenzial. Das ist einfach eine unglaubliche Bereicherung und Horizonterweiterung. Wir können da noch viel mehr draus zu ziehen als wir es bisher getan haben und ich glaube, da liegt die Zukunft.

Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du?

Ich mag Comics und Comicverfilmungen sehr gerne. Ich habe mich sogar mal als Comicfigur auf einer Convention zeichnen lassen. Das war She-Hulk! Witzigerweise ist das erste Graphic Novel von She-Hulk auch im Jahr 1985 – meinem Geburtsjahr – veröffentlicht worden. Das ist ein Charakter, der unter Wut Superkräfte entwickelt und grün wird. Es ist die stärkste Frau im Marvel-Universum. Noch stärker als Captain Marvel. Ihr Cousin ist Hulk. Sie ist eigentlich Anwältin. Sie ist smart und witzig und stark. Sie entwickelt sich und kann ihre Kräfte irgendwann nicht nur einsetzen, wenn sie wütend ist, sondern mit Köpfchen und gezielt. Ich kann mich mit ihr sehr gut identifizieren.

Das Interview führten wir im November 2019.

Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.