Dhana Nowara aus Witten
„Man sollte nicht alles so ernst nehmen und sich eine gewisse Leichtigkeit im Leben bewahren.“
Hallo Dhana, stell dich bitte kurz vor.
Ich bin die Dhana, 30 Jahre alt und wohne in Witten. Ich habe ursprünglich theoretische Physik in Bielefeld studiert und arbeite momentan bei einem großen Optikunternehmen in Wuppertal. Ich komme eigentlich von der Küste – aus Lingen in Ostfriesland. Von dort aus bin ich für das Studium nach Bielefeld gezogen und nach fünf Jahren ins Ruhrgebiet nach Witten.
Wie kommt man dazu, theoretische Physik zu studieren?
Indem einem das Spaß macht! Ich glaube, ansonsten macht man das nicht. Man muss es schon mögen, sonst kommt man glaube ich nicht auf Physik.
Ist der Bereich nicht auch eher eine Männerdomäne?
Ja – es ist ziemlich klischeemäßig. Am Anfang des Studiums sieht man noch recht viele Frauen, weil die naturwissenschaftlichen Kurse zusammengelegt werden – ob das jetzt für Grundschule, Lehramt oder naturwissenschaftliche Informatik ist – alle müssen durch diese Grundkurse. Je weiter man im Studium kommt, desto weniger Frauen werden es. Nachher ist man schon ziemlich alleine auf weiter Flur.
Und jetzt arbeitest du bei einem Optiker? Was machst du da?
Genau. Ich arbeite im Verkauf und in der Werkstatt. Gläser schleifen, feilen, Reparaturen …
Ich sehe, dass du deine Fingernägel machen lässt.
Ja, alle drei bis vier Wochen. Auf der Arbeit, wenn ich in der Werkstatt mit Schleifen und Wasser in Berührung komme, und dann in den Verkauf wechsle, dann sieht das mit normalem Nagellack nicht gut aus. Der blättert an den Spitzen schnell ab. Daher lasse ich meine Nägel immer professionell modellieren. Ich habe mich an die langen Nägel gewöhnt und kann gut damit arbeiten.
Was machst du in deiner Freizeit?
Ich arbeite viel und meine Freizeit ist mit Konzerten und Veranstaltungen gefüllt. Ich bin gerne unter Menschen. Außerdem gehe ich gerne essen. Ich kann das Restaurant Katzenstein in Witten empfehlen. Das ist echt gut.
Ich bin auch leidenschaftliche Cineastin. Ich habe eine UCI-Jahreskarte und kann damit so viele Filme schauen, wie ich möchte. Am liebsten mag ich Biographien, interessante Sachen, wie zum Beispiel „Concussion“ mit Will Smith über die Football-Krankheit, oder „Trumblr“ über die schwarze Liste von Schriftstellern und Regisseuren in den USA.
Du gehst gerne auf Konzerte. Magst du eine bestimmte Musikrichtung?
Sehr gemischt. Ich mag Festivals wie das Feuertal Festival, was hier in der Nähe stattfindet. Oder das Amphi Festival in Köln. Ich höre momentan gerne die Musik, die ich dann auch dolmetsche.
Ich bin ein großer Steampunk-Fan. Ich besuche gerne den historischen Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle in Bochum. Da gehe ich dann natürlich in einem passenden Outfit hin. Der Jahrmarkt ist sehr zu empfehlen. Die historischen Fahrgeschäfte sind einfach toll.
Was meinst du mit „Musik dolmetschen“?
Ich übersetze Musik in Gebärdensprache. Also tatsächlich gab es im ARD vor sieben oder acht Jahren eine Serie aus der Reihe „Wir sind eins“, in der aktuelle Chart-Songs mit Gebärden-Untertiteln ausgestrahlt wurden. Das hat mein Interesse geweckt. Mir ist aufgefallen, dass das ziemlich unbekannt war und ist. Obwohl wir im Ruhrgebiet eine große Gruppe gehörloser und schwerhöriger Menschen haben. Es gibt in Essen-Frohnhausen ja auch das RWB – das Rheinisch-Westfälische Berufskolleg für Gehörlose mit Internatsanschluss. Das bietet diverse Berufslehrgänge und auch den Besuch der gymnasialen Oberstufe an. Schade finde ich, dass das einem vor der Nase steht, aber trotzdem so unbekannt ist.
Ich bin selber stark schwerhörig. Dadurch kam ich dazu, Lieder in Gebärdensprache zu übersetzen und davon Videos zu drehen. Ich spreche schon sehr lange die Gebärdensprache.
Trägst du ein Hörgerät?
Ich hätte ein Hörgerät haben können – ja. Aber das lohnt sich bei mir nicht. Ich bin von Geburt an schwerhörig, meine Synapsen im Hörsystem sind nicht richtig ausgebildet. Wenn ich ein Hörgerät trage, wird alles lauter, aber ich habe dadurch kein besseres Hörverständnis. Das hilft mir dann nicht weiter.
Was hilft dir denn?
Gar nichts. Ich kann super von den Lippen ablesen. Man muss lernen, das schlechte Hören zu kompensieren und damit im Alltag umzugehen. Ich höre rechts gar nichts und links geht es ganz gut. Das kann ich gut ausgleichen.
Sprichst du oft Gebärdensprache?
An manchen Wochenenden mit Freunden ausschließlich. Da kommt es dann auch oft vor, dass ich in Gebärdensprache träume. Das ist ja mit Lautsprachen nicht anders. Man träumt in seiner Muttersprache.
Für mich ist das alltäglich, aber vielen Menschen fällt das zu Beginn sehr schwer, mit den Fingern zu sprechen. Und zwar auch unabhängig davon, ob sie ein Instrument spielen. Es sind einfach ungeübte Bewegungen.
Wie ist deine Schwerhörigkeit aufgefallen?
Es fing bei mir so an, dass ich als Kleinkind nie reagiert habe. Meine Mutter wusste nicht, woher das kam und ist mit mir zu zig Ärzten gegangen. Die Kinderärzte haben immer gesagt: „Die will einfach nicht hören.“ Das war damals nicht so bekannt. Mir wurden dann Paukenröhrchen gesetzt. Nützt natürlich nichts, wenn man auf dem Ohr einfach nichts hören kann. Ich war auch bei der Logopädie und Ergotherapie. Alles, was mit dem Gehör zusammenhängt. Einzelne Laute konnte ich nicht richtig aussprechen, weil ich sie durch das schlechte Hören nicht unterscheiden konnte. Macken mit dem Gleichgewicht hatte ich auch.
Irgendwann nach Jahren sind wir in Oldenburg bei Herrn Dr. Schönefeld in der Hörklinik gelandet und der hat dann erst die Diagnose Schwerhörigkeit gestellt. Bis dahin waren es Jahre, in denen nichts wirklich passiert ist. Das war am Anfang schon sehr schwierig.
Hast du in deiner Familie oder unter Bekannten auch schwerhörige oder gehörlose Menschen?
In der Familie gar nicht, aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis doch relativ viele. Das kam einfach mit der Gebärdensprache dazu. Leute, die ich in der Zeit kennengelernt habe, sind einfach geblieben, ob die jetzt schwerhörig oder gehörlos sind. Hinzugekommen ist, dass im Optiker-Laden relativ viele gehörlose Kunden zu mir kommen. Es hat sich wohl durch rumgesprochen, dass ich die Gebärdensprache beherrsche. Und das nutzen Kunden natürlich gerne, wenn sie darauf angewiesen sind.
Wie war die Reaktion auf deine Videos?
Sehr gemischt. Ich habe superviel positives Lob bekommen, von Leuten, die keine Gebärdensprache können. Auch von vielen Gehörlosen und Schwerhörigen aus meinem Bekanntenkreis. Aber ich habe die Videos auch gegenüber Gehörlosen, die ich nicht kenne, vertreten müssen. Es gab viel Kritik von Gehörlosen, die der Meinung waren, dass nur andere Gehörlose solche Videos machen dürfen und ich bin ja „nur“ schwerhörig. Die bleiben gerne unter sich. Ich bin aber nicht der Meinung, dass dieses System geschlossen bleiben muss. Daher vertrete ich dort meine Meinung stark.
Hast du dir die Zustimmung der Bands holen müssen, deren Songs du übersetzt?
Ja. Ich habe sie angeschrieben und um Erlaubnis gebeten, weil ich denke, dass das der einfachste Weg ist. Ich warte auf das Feedback und ob Wünsche bezüglich der Videos bestehen, bevor ich mit dem Drehen anfange.
Welches Ziel verfolgst du mit den Videos?
Ich finde das einfach schön, wenn Gebärdensprache insgesamt bekannter wird. Alles, was man kennt, wird positiver aufgenommen und man reagiert nicht so ablehnend darauf. Und das finde ich gut. Ganz viele Leute haben mir geschrieben und gefragt, wo man sowas lernen kann. Und da verweise ich immer auf die örtliche Volkshochschule.
Wie viele Views haben deine Videos?
Bei Schandmaul zuletzt waren es um die 30.000, als sie das Video geteilt haben.
Wie nimmst du die Videos auf?
Mit dem Handy und einem Stativ. Das klappt ganz gut. Für Facebook muss ich die Schärfe runterskalieren, aber mit dem Handy – das war die unkomplizierteste Lösung.
Wie kam es dazu, dass du ins Ruhrgebiet gezogen bist?
Ich habe meinen Freund vor einigen Jahren auf einem Konzert der Band Saltatio Mortis kennengelernt. Er hatte hier eine Festanstellung und ich kam ja gerade von der Uni. Da bin ich dann hierhergezogen.
Was gefällt dir am Ruhrgebiet?
Ich mag Witten sehr gerne. Wir wohnen direkt am Kemnader See. Das ist eine sehr schöne Gegend mit viel Natur rundherum. Da kann ich mir gut vorstellen, mein Leben lang zu bleiben. Im Sommer gibt’s da den Beach-Club und man kann auch gut rundherum unterwegs sein. Klassisch in der Innenstadt zu wohnen, kann ich mir mittlerweile nicht mehr vorstellen. Das wollte ich eher zu meiner Studienzeit.
Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wärst du dann und warum?
Von der Idee her mag ich Peter Pan. Man sollte nicht alles so ernst nehmen und sich eine gewisse Leichtigkeit im Leben bewahren. So halte ich das auch.
Das Interview führten wir im April 2018.
Das Interview bietet einen Einblick in die Gedanken, Meinungen und Perspektiven der interviewten Person zu diesem bestimmten Zeitpunkt, reflektiert aber nicht zwangsläufig ihre gesamte Persönlichkeit oder ihre langfristigen Ansichten. Das Leben verändert sich stetig. Unsere Überzeugungen, Werte und Erfahrungen entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter. Was heute wahr oder relevant ist, kann in der Zukunft anders aussehen. Dieses Interview ist als Momentaufnahme zu verstehen.